Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 12.09.2014; Aktenzeichen 22 Ju Js 1194/06 (29208) V - 592 StVK 245/14 Bwh 1) |
Tenor
Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 12. September 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 29. November 2007 (rechtskräftig seit dem 6. September 2008) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 16 Fällen, davon in 15 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen und in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen. Der Beschwerdeführer hat die Strafe vollständig verbüßt; er ist am 28. Mai 2014 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden.
Mit Beschluss vom 23. Mai 2014 hatte das Landgericht u.a. angeordnet, das die mit der Entlassung eintretende Führungsaufsicht (§ 68f Abs. 1 Satz 1 StGB) nicht entfällt; von der Abkürzung der gesetzlichen Höchstdauer hat es abgesehen. Mit Schreiben vom 20. August 2014 hat die Führungsaufsichtsstelle angeregt, den Beschluss vom 23. Mai 2014 um Weisungen im Sinne von § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 und 4 StGB zu ergänzen; die Staatsanwaltschaft ist dem hinsichtlich etwaiger Weisungen nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB beigetreten. Am 29. August 2014 hat der Verteidiger beantragt, ihn dem Angeklagten entsprechend § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beizuordnen. Diesen Antrag hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Hiergegen hat der Verurteilte mit Schreiben vom 19. September 2014 Beschwerde eingelegt.
II.
1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig aber unbegründet. Zwar hat das Landgericht versäumt, eine Nichtabhilfeentscheidung (§ 306 Abs. 2 StPO) zu treffen. Ihr Fehlen ist unschädlich, da sie keine Verfahrensvoraussetzung für die Entscheidung des Beschwerdegerichts (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 306 Rdn. 10) und eine Zurückweisung zu ihrer Nachholung das Verfahren allein verzögern würde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Oktober 2010 - 2 Ws 554/10 - und vom 24. Oktober 2007 - 2 Ws 632-633/07 -).
2. Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers liegen nicht vor. Die im Erkenntnisverfahren erfolgte Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 StPO endet regelmäßig mit der Rechtskraft des Urteils. Eine damit korrespondierende Generalklausel, welche auch für das Vollstreckungsverfahren die Bestellung eines Verteidigers vorsieht, besteht dagegen nicht. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, im Vollstreckungsverfahren für wenige Einzelfälle - wie etwa § 463 Abs. 3 Satz 5 oder § 463 Abs. 8 StPO - die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorzuschreiben.
Jenseits dessen wendet die Rechtsprechung § 140 Abs. 2 StPO aber entsprechend an. Dies ist verfassungsrechtlich geboten. Denn das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung erfordert, dass der Beschuldigte auf den Gang und das Ergebnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens Einfluss nehmen kann (vgl. BVerfG 70, 297, 322 f.). Hiernach kann sich auch in einfachgesetzlich nicht geregelten Konstellationen die Bestellung eines Verteidigers als erforderlich erweisen. Dies ist der Fall, wenn ein Verfahren außergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist oder der Verurteilte aufgrund besonderer, in seiner Person liegender Umstände ersichtlich nicht in der Lage ist, sich selbst angemessen zu äußern (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Juli 2014 - 2 Ws 237/14 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 15. März 2012 -1 Ws 138/12 -, juris; jeweils mit weit. Nachweisen).
Diese genannten Voraussetzungen liegen indes in Vollstreckungsverfahren nur ausnahmsweise vor. Denn diese sind anders als Erkenntnisverfahren nicht kontradiktorisch ausgestaltet. So muss sich der Verurteilte hier nicht gegen einen Tatvorwurf verteidigen. Vielmehr ist das Vollstreckungsgericht an die rechtskräftigen Feststellungen des Tatrichters in dem Urteil gebunden. Soweit zusätzliche Feststellungen überhaupt zu treffen sind, gilt das Freibeweisverfahren. Schließlich ergehen im Vollstreckungsverfahren gerichtliche Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung (vgl. zu alledem BVerfG NJW 2002, 2773; KG aaO.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 140 Rdn. 33 mit weit. Nachweisen). Nach alledem besteht im Vollstreckungsverfahren im deutlich geringeren Maße ein Bedürfnis für die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers. Der Sache nach handelt es sich nicht um eine restriktive Handhabung der Vorschrift in ihrem durch den Gesetzgeber vorgesehenen originären Geltungsbereich, sondern allein um die Reichweite einer darüber hinaus gehenden analogen Anwendun...