Entscheidungsstichwort (Thema)

Inbegriff der Hauptverhandlung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils nach § 324 Abs. 1 S. 2 StPO ist nicht Teil der Beweisaufnahme.

 

Normenkette

StPO §§ 261, 324 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 15.11.2019; Aktenzeichen (580) 235 Js 1268/17 Ns (62/18))

 

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. November 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte die Angeklagten am 14. März 2018 wegen gemeinschaftlicher Unterschlagung jeweils zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro.

Die mit dem Ziel eines Freispruchs eingelegten Berufungen der Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit der angefochtenen Entscheidung verworfen.

Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Revisionen, durch die sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen.

II.

Die form- und fristgerecht sowie unbeschränkt eingelegten Revisionen der Angeklagten haben (vorläufigen) Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sollen die Angeklagten im Rahmen eines Gebrauchtwagenkaufs mit einem ihnen (wohl) schon übergebenen, jedoch noch nicht übereigneten PKW davon gefahren sein, um diesen ohne Zahlung des noch ausstehenden Restkaufpreises von 850 Euro für sich zu verwenden.

2. Die Revisionen dringen bereits mit der Verfahrensrüge durch, mit der die Angeklagten beanstanden, dass das Urteil nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhe.

a) Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO ist durch den Angeklagten W. zulässig erhoben. Die Inbegriffsrüge entspricht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wenn mit den Mitteln des Revisionsrechts ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme der Nachweis geführt werden kann, dass eine im Urteil getroffene Feststellung nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel und auch sonst nicht aus zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 17; OLG Koblenz NStZ-RR 2011, 352; KG Berlin, Beschluss vom 18. April 2012 - (4) 121 Ss 53/12 (91/12) -juris Rn. 5). Die Revision des Angeklagten W. hat unter Mitteilung der maßgeblichen Urteilsgründe und der notwendigen Aktenteile ausreichend dargelegt, dass die kleine Strafkammer die Aussage des Zeugen Pr. anhand seiner Angaben in erster Instanz gewürdigt habe, ohne diese in prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung einzuführen. Dass die Revisionsbegründung der Angeklagten P. demgegenüber versäumt hat, den relevanten Wortlaut des Hauptverhandlungsprotokolls wiederzugeben (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 15. April 2016 - III-2 RBs 61/16 -, juris), ist unschädlich, weil sich die Wirkung des § 357 StPO nicht nur auf Mitangeklagte erstreckt, die keine Revision eingelegt haben, sondern auch auf solche, die mit ihrer Revision deshalb nicht durchdringen könnten, weil sie unzureichend begründet ist (vgl. Gericke in KK-StPO 8. Aufl. 2019, § 357 Rn. 12 mwN).

b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt hierzu Folgendes aus:

"Als Inbegriff der Hauptverhandlung darf nach einem der wesentlichen Grundsätze des Strafverfahrens, der seine gesetzliche Ausprägung namentlich in § 261 StPO findet, nur das verwertet und zur gerichtlichen Überzeugungsbildung herangezogen werden, was zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden ist; inhaltlich dürfen nur Beweiserhebungen zur Urteilsgrundlage gemacht werden, die in einer vom Gesetz vorgeschriebenen Form in das Verfahren eingeführt worden sind.

Das Landgericht hat bei der Würdigung der Frage, ob es die Angabe des Zeugen Pr., die es - im Zusammenhang mit erhobenen Urkundsbeweisen - als Grundlage der Verurteilung der Angeklagten herangezogen hat, als glaubhaft angesehen hat, maßgeblich darauf abgestellt, dass diese gegenüber seinen Angaben in erster Instanz im Wesentlichen konstant waren (UA S. 6). Diesbezüglich bemängeln die Revisionen indes zutreffend, dass die Angaben, die der Zeuge in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung getätigt hatte, zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Beweisaufnahme vor dem Landgericht waren. Entsprechend sei die Strafkammer aus Rechtsgründen gehindert gewesen, einen Vergleich der jeweiligen Aussagen des Zeugen vor Amts- bzw. Landgericht und damit eine Überprüfung von deren möglicher Konstanz anzustellen. Diesem Vorbringen kann sich die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils nicht verschließen. Das Sitzungsprotokoll der Berufungshauptverhandlung (dort S. 2) weist zwar aus, dass gemäß dem gesetzlichen Gang der Berufungshauptverhandlung (§ 324 StPO) das erstinstanzliche Urteil - auszugsweise - verlesen worden ist. Dies ist aber - selbst wenn es sich vorliegend auch auf die Angaben des Zeugen Pr. erstreckt hätte - schon nach Auslegung des Gesetzeswortlautes des § 324 StPO (dort Inhalt de...

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