Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt des Vorsatzes bei Unterlassungsdelikten. Änderungsmitteilung bei Bezug von Sozialleistungen
Orientierungssatz
Orientierungssatz:
Ist ein Bezieher von Sozialleistungen nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet, leistungsrelevante Änderungen seiner Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen, ist für den Zeitpunkt des Vorsatzes im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB maßgeblich, wann es für ihn ohne schuldhaftes Zögern möglich war, die erforderlichen Angaben zu machen.
Normenkette
StGB § 13 Abs. 1, § 16 Abs. 1 S. 1; SGB I § 60 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 27.01.2023) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Januar 2023 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gründe
Ergänzend merkt der Senat lediglich an:
1. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges. Die Auffassung des Verteidigers, der Eintritt eines Schadens sei dann zu verneinen, wenn der Täter von Anfang an von einer "Kompensation seiner Unterlassung" ausgeht und von vornherein bereit ist, den Erfolg zu beseitigen, und dass ein solcher Täter mangels "Beendigungsvorsatzes" ohne Bereicherungsabsicht handele, vermag nicht zu überzeugen.
a) Soweit der Verteidiger die Auffassung vertritt, es sei kein Schaden im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB eingetreten, verkennt er, dass dieser bereits mit der täuschungsbedingt erfolgten ersten unberechtigten Überweisung der Sozialleistung eingetreten und die Tat dadurch vollendet worden ist. Dass der Angeklagte - wie von ihm behauptet - darauf vertraut hat, die Behörde werde ihn im Anschluss daran zur Rückzahlung auffordern, und er den überzahlten Betrag nach deren Aufforderung zurückgezahlt hat, ist folglich für den Schadenseintritt und den darauf bezogenen Vorsatz ohne Bedeutung. Bezeichnenderweise spricht der Verteidiger in diesem Zusammenhang von einer Bereitschaft des Täters, den Erfolg zu beseitigen.
b) Wie sich aus § 16 Abs. 1 StGB ergibt, muss der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Als maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei (allein) auf die Vornahme der tatbestandlichen Handlung abzustellen (vgl. BGHSt 63, 88 m.w.N.; NStZ 2018, 27; NJW 2015, 3178; Vogel in StGB Leipziger Kommentar 12. Aufl.; § 15 Rdn. 53 m.w.N.; Fischer, StGB 70. Aufl., § 16 Rdn. 2). In Fällen des Betruges durch Unterlassen ist daher maßgebend, wann der Täter verpflichtet gewesen wäre, die rechtlich gebotene Handlung vorzunehmen. Da ein Leistungsberechtigter nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet ist, leistungsrelevante Änderungen seiner Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen, ist darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt es für ihn ohne schuldhaftes Zögern möglich ist, die erforderlichen Angaben zur Änderung seiner (Arbeits-) Verhältnisse zu machen, und sind darauf bezogene Feststellungen durch das Tatgericht zu treffen. Das Erfordernis eines auf die Tatbeendigung gerichteten und bis dahin andauernden Vorsatzes kennt das Gesetz demgegenüber nicht; Feststellungen dazu sind entbehrlich.
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil, indem mitgeteilt wird, dass der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt eigenständig die Veränderung seiner Verhältnisse mitgeteilt hat und in Kenntnis seiner Mitteilungspflicht dazu auch nicht gewillt war, sondern den überzahlten Betrag erst nach entsprechender Aufforderung der Behörde zurückgezahlt hat.
2. Gegen die vom Landgericht verhängte Rechtsfolge einer unbedingten Freiheitsstrafe ist von Rechts wegen nichts zu erinnern. Wieso es - so die Verteidigung - strafmildernde Berücksichtigung finden soll, wenn das Tatopfer im Nachgang zur Tat bemerkt, geschädigt worden zu sein, und sodann aktiv wird, um vom Täter Ausgleich des von ihm verursachten Schadens zu erlangen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 2. Mai 2023 lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor, rechtfertigt aber keine abweichende Entscheidung.
Fundstellen
ZAP 2023, 744 |
JZ 2023, 716 |
StRR 2023, 4 |