Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 21.04.2015; Aktenzeichen 317 OWi 1461/14) |
Tenor
Auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. April 2015 aufgehoben.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 10. Februar 2015 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Betroffene hat gegen einen Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 18. August 2014, mit dem wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 350,- Euro und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt worden sind, Einspruch eingelegt. Zur vom Amtsgericht auf den 10. Februar 2015 anberaumten Hauptverhandlung ist er nicht erschienen. Am Terminstag hat seine Verteidigerin ein vom selben Tag stammendes ärztliches Attest übersandt, das bescheinigt, der Betroffene sei "akut erkrankt und nicht in der Lage, einen Termin in Berlin zu absolvieren". Das Amtsgericht hat die ausstellende Ärztin unter der auf dem Attest angegebenen Telefonnummer erfolglos anzurufen versucht. Hiernach hat die Bußgeldrichterin den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. In den Urteilsgründen heißt es:
"Das eingereichte Attest ... belegt weder eine Verhandlungs- noch eine Reiseunfähigkeit des Betroffenen, da es keine Diagnose ausweist und nicht erkennen lässt, aufgrund welcher konkreten Beschwerden der Betroffene an der Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert war. Eine telefonische Kontaktaufnahme mit der Attestausstellerin war nicht möglich, so dass dem Gericht keine ergänzenden Feststellungen zu dem ärztlichen Attest möglich waren."
Noch vor der Zustellung des Urteils hat der Betroffene durch seine Verteidigerin mit Schriftsatz vom 16. Februar 2015 Rechtsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Schriftsatz enthält Ausführungen zum Verfahrensablauf und legt aus der Sicht des Betroffenen dar, weshalb das Amtsgericht den Einspruch nicht hätte verwerfen dürfen. Ausdrückliche Rechtsbeschwerdeanträge sind mit dieser Eingabe nicht gestellt worden. Das auf Wiedereinsetzung gerichtete Gesuch ist durch das Amtsgericht zurückgewiesen worden, und die hiergegen gerichtete Beschwerde ist durch das Landgericht verworfen worden. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 21. April 2015 als unzulässig verworfen, weil die Beschwerdeanträge nicht fristgerecht gestellt worden seien. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Seine Verteidigerin macht geltend, sie habe die Rechtsbeschwerde mit Schriftsatz vom 3. März 2015 ausführlich begründet und Beschwerdeanträge gestellt. Den Schriftsatz habe sie in die Akte, die sich zur Einsicht in ihrer Kanzlei befunden habe, eingelegt und die Akte zurückgereicht.
1. Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts hat Erfolg. Die Beschwerdeanträge sind frist- und formgerecht gestellt worden. Die Frist nach § 345 Abs. 1 StPO ist ebenso gewahrt wie das Formerfordernis nach § 345 Abs. 2 StPO. Auf den mit der Rechtsbeschwerde nunmehr eingereichten Verteidigerschriftsatz vom 3. März 2015 kommt es dabei nicht an. Bereits aus dem Schriftsatz vom 16. Februar 2015 ergibt sich zweifelsfrei, dass der Betroffene das Urteil insgesamt beanstandet und die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung begehrt. Dass die Ausführungen dieses Schriftsatzes vorrangig der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags dienen sollten, ist ebenso unschädlich wie das Fehlen eines ausdrücklichen Rechtsbeschwerdeantrags (vgl. Senat, Beschlüsse vom 23. Februar 2005 - 3 Ws (B) 74/05 - [juris] und vom 15. Juli 2008 - 3 Ws (B) 197/08; KG, Beschluss vom 11. April 2011 - 2 Ss 117/11 -; OLG Oldenburg, Beschluss vom 24. Juni 2009 - 1 Ss 78/09 - [juris]), zumal ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG nur in vollem Umfang angefochten werden kann (vgl. KG, Beschluss vom 11. April 2011 - 2 Ss 117/11 - [§ 329 StPO]). Auch ohne ausdrücklich gestellte Anträge kommt das auf die Aufhebung des gesamten Urteils und Zurückverweisung der Sache gerichtete Anfechtungsziel hier ausreichend zum Ausdruck.
2. Auch die mithin zur Entscheidung stehende Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
a) Das Rechtsmittel ist nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft, auch ist die Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG nach § 79 Abs. 3 Satz 3 OWiG iVm § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben. An die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gegen ein nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenes Verwerfungsurteil sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Das Beschwerdevorbringen ist - was auch insoweit grundsätzlich ausreicht - in dem gleichzeitig mit der Rechtsbeschwerde begründeten Wiedereinsetzungsantrag enthalten. Da sich der gerügte Verfahrensfehler ohne Weiteres aus dem Inhalt des angefochtenen U...