Leitsatz (amtlich)
1. Gegen die Erteilung einer Widerrechtlichkeitsbescheinigung nach Art. 15 HKÜ durch das Familiengericht ist die Beschwerde statthaft.
2. Das Familiengericht hat den Beschluss, mit dem die Widerrechtlichkeitsbescheinigung erteilt wird, den Beteiligten förmlich zuzustellen.
3. Zu den Voraussetzungen, damit eine Widerrechtlichkeitsbescheinigung nach Art. 15 HKÜ erteilt werden kann.
Verfahrensgang
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Aktenzeichen 20 AR 18/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Mutter gegen den am 18. Februar 2021 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee - 20 AR 18/21 -, mit dem festgestellt wurde, dass die Mutter den am ... 2017 geborenen M ... widerrechtlich in Russland zurückhält sowie weiter, dass sie die am ... 2019 geborene S ... ... widerrechtlich nach Russland verbracht hat, wird zurückgewiesen.
Gerichtliche Kosten für das Verfahren im ersten und im zweiten Rechtszug werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens im zweiten Rechtszug trägt die Mutter. Die außergerichtlichen Kosten im Übrigen sind von demjenigen Beteiligten zu tragen, bei dem sie angefallen sind.
Der Wert für die anwaltliche Tätigkeit im Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Der Antrag der Mutter vom 17. März 2021, ihr Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsverteidigung im zweiten Rechtszug zu gewähren, wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Mutter, die mit dem Vater zwar verheiratet ist, von ihm aber seit etwa August/September 2019 getrennt lebt, wendet sich gegen den am 18. Februar 2021 erlassenen Beschluss des Familiengerichts, mit dem festgestellt wurde, dass das Zurückhalten von M ... in Russland sowie das Verbringen von S ... nach Russland widerrechtlich im Sinne von Art. 3 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen sei (im folgenden auch HKÜ).
Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Familiengericht dargelegt, dass die Mutter die aus ihrer Ehe mit dem Vater hervorgegangenen Kinder M ... und S ... im Oktober 2019 ohne Wissen, aber mit Duldung des Vaters zu ihren Eltern in den Bezirk K ... in Russland verbracht habe. Als sie am 15. Februar 2020 nach Deutschland zurückgekehrt sei, habe sie nur S ... zurück nach B ... gebracht; M ... habe sie ohne Wissen und ohne Zustimmung des Vaters bei ihren Eltern in K ... zurückgelassen. In Bezug auf S ... habe die Mutter in einem Verfahren zur Regelung des Umgangs (Amtsgericht Pankow/Weißensee 20 F 2410/20) erklärt, sie beabsichtige, mit S ... dauerhaft nach Russland zu übersiedeln. Damit sei der Vater nicht einverstanden gewesen. Deshalb habe das Familiengericht von Amts wegen ein weiteres Verfahren (Amtsgericht Pankow/Weißensee 20 F 4124/20) eingeleitet und gegen die Mutter eine sogenannte "Grenzsperre" erlassen, mit der ihr bei Meidung von Zwangsgeld untersagt worden sei, S ... außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen. In Kenntnis dieses Beschlusses und unter Vorspiegelung der falschen Behauptung, die "Grenzsperre" sei aufgehoben worden, sei die Mutter zusammen mit S ... am 28. August 2020 auf dem Landweg über Polen nach Russland in den Bezirk K ... eingereist. Sowohl das Zurückhalten von M ... in Russland als auch das Verbringen von S ... dorthin seien deshalb widerrechtlich im Sinne von Art. 3 HKÜ.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde, mit der sie geltend macht, das Familiengericht habe die Widerrechtlichkeitsbescheinigung zu Unrecht erlassen. Der Beschluss des Familiengerichts sei abzuändern und der Antrag des Vaters, eine Bescheinigung nach Art. 15 HKÜ auszustellen, zurückzuweisen, weil sie die beiden Kinder nicht im Sinne von Art. 3 HKÜ widerrechtlich nach Russland verbracht oder widerrechtlich dort zurückhalte. Hierzu trägt sie vor, der Vater sei ihr gegenüber gewalttätig gewesen. Nachdem sie sich im August/September 2019 von ihm getrennt habe, sei sie mit dessen Duldung bzw. Einverständnis mit den Kindern nach Russland gereist. Im Februar 2020 sei sie mit S ... aus Russland zurück nach B ... gekommen, um einen Termin bei der Ausländerbehörde wahrzunehmen. Sie trägt weiter vor, der Vater habe sich auch während der Zeit des Zusammenlebens nicht um die Kinder gekümmert; diese hätten inzwischen den Bezug zu Deutschland verloren und sprächen die deutsche Sprache nicht mehr. Sie habe dem Vater wiederholt angeboten, die Kinder in Russland zu sehen. Sie meint, in Bezug auf die beiden Kinder läge kein Sorgerechtsverhältnis vor, das vom Vater tatsächlich ausgeübt worden sei; er habe kein Interesse an den Kindern.
Der Vater verteidigt die angegriffene Entscheidung als zutreffend und richtig; das Familiengericht habe zu Recht eine Wiederrechtlichkeitsbescheinigung erteilt. Das Verbringen von S ... nach und das Zurückhalten von M ... in K ... seien widerrechtlich im Sinne von Art. 3 HKÜ, weil beide Kinder aus der Ehe der Eltern hervorgegangen seien mit der Folge, dass die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam zustünd...