Leitsatz (amtlich)
"Zum Recht eines Strafgefangenen auf Einsicht in ein kriminologisch-prognostisches Gutachten einer Dipl.-Psychologin."
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 18.01.2006; Aktenzeichen 546 StVK 720/05 Vollz) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 18. Januar 2006 - mit Ausnahme der Bestimmung des Streitwerts - aufgehoben. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel wird verpflichtet, dem Strafgefangenen eine Fotokopie des kriminologischen Gutachtens der Diplom-Psychologin H... vom 27. Mai 1999 auszuhändigen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Der Beschwerdeführer verbüßt seit dem Jahr 1973 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Im Jahre 1999 erstellte die Diplom-Psychologin H... im Auftrag der Senatsverwaltung für Justiz ein kriminalpsychologisches Gutachten über den Beschwerdeführer, weil dieser schwer erkrankt war und ermittelt werden sollte, ob etwaige vollzugslockernden Maßnahmen in Aussicht genommen werden könnten. In den darauf folgenden Vollzugsplanfortschreibungen wird das Gutachten nicht mehr erwähnt.
Mit Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin vom 21. Februar 2003 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, den Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel zu verpflichten, ihm eine Fotokopie des in Rede stehenden Gutachtens vom 27. Mai 1999 auszuhändigen, als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hat der Beschwerdeführer kein Rechtsmittel eingelegt.
Mit dem angefochtenen Beschluß vom 18. Januar 2006 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er sich gegen die erneute Ablehnung seines Antrags wendet, ihm eine Fotokopie des Gutachtens auszuhändigen, abgelehnt.
Die gegen diesen Beschluß der Strafvollstreckungskammer gerichtete Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
1.
Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ( § 118 StVollzG) erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, weil es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Der angefochtene Beschluß steht - jeweils in Teilen seiner Begründung - den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 18. November 2004 - 1 BvR 2315/04 - (NJW 2005, 1103) und des OLG Koblenz vom 8. Mai 2003 - 1 Ws 31/03 - (ZfStrVo 2003, 301) entgegen. Er widerspricht ferner dem nach seinem Erlaß bekanntgewordenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Januar 2006 - 2 BvR 443/02 - (NJW 2006, 1116).
2.
Gemäß § 185 StVollzG steht dem Strafgefangenen nach Maßgabe des § 19 BDSG ein Anspruch auf Akteneinsicht zu, wenn er (zu Recht) geltend macht, daß auf Grund bestimmter Umstände eine bloße Auskunftserteilung für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen nicht ausreichend und er deswegen auf unmittelbare Einsichtnahme angewiesen ist (vgl. OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2005, 64; OLG Koblenz, ZfStrVo 2003, 301, 302; OLG Hamm NStZ 2002, 615). Die vom Beschwerdeführer beantragten Kopien aus der Akte sind eine Form dieser Akteneinsicht. Zwar besteht das Recht auf Akteneinsicht nicht unbeschränkt. Der Betroffene muß darlegen, daß der nach dem Gesetz vorrangige Auskunftsanspruch zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht ausreicht und die Notwendigkeit einer Akteneinsicht besteht (vgl. KG, Beschluß vom 7. November 2003 - 4 VAs 26/03 m.w.Nachw.). Dies ist jedoch vorliegend der Fall.
a)
Der Beschwerdeführer hat unter anderem vorgetragen, daß er sich "ein umfassendes Bild über den Inhalt des über ihn erhobenen Gutachtens machen" und es "gegebenenfalls durch ein Gegengutachten überprüfen lassen will". Er hat ferner ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich um ein Gefahrenprognosegutachten handelt. Damit hat er ausreichend sein Interesse an der Akteneinsicht dargelegt. Denn ein solches Gutachten muß - unabhängig von seinem Alter und den Umständen seiner Entstehung - bei der Entscheidung berücksichtigt werden, ob der Antragsteller, der sich seit mehr als 30 Jahren in Haft befindet, gemäß § 57 a StGB jemals wieder der Freiheit teilhaftig werden kann. Daß das Gutachten tatsächlich eine Gefahrenprognose enthielt, hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt.
Die dagegen erhobenen Einwendungen der Justizvollzugsanstalt Tegel, daß das Gutachten keinerlei Wirkungen auf die Vollzugsplanung entfalte, sind unerheblich. Das trifft bereits deshalb nicht zu, weil die bloße Nichterwähnung im Vollzugsplan den Schluß der Gutachterin auf die Gefährlichkeit des Antragstellers und die Feststellung einer schweren Persönlichkeitsstörung nicht aus der Welt schafft. In der Vollzugsplanfortschreibung ist es entbehrlich, die bisherigen Regelungen sowie die Erkenntnisse, auf denen sie beruhen, ...