Leitsatz (amtlich)
1. Die Verwertbarkeit der Ergebnisse von Geschwindigkeitsmessungen im standardisierten Messverfahren hängt nicht von ihrer nachträglichen Überprüfbarkeit anhand von Rohmessdaten durch den von der Messung Betroffenen ab.
2. Werden von einer Gerätesoftware keine so genannten Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang aufgezeichnet, abgespeichert, vorgehalten oder sonst nach Abschluss der Geschwindigkeitsmessung zur nachträglichen Befundprüfung bereitgehalten, führt dies nicht zu einem Verstoß gegen das Prozessgrundrecht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren, auch nicht in seiner Ausprägung als Recht auf eine wirksame Verteidigung, mit der Folge der Annahme eines Verwertungsverbotes.3. Das gilt unabhängig davon, ob Messdaten im Einzelfall von dem Gerät gespeichert werden oder nicht.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 05.12.2019; Aktenzeichen 308 OWi 549/19) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Dezember 2019 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Polizeipräsident in Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 5. August 2019 gegen den Betroffenen wegen vorsätzlich begangener Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 54 km/h eine Geldbuße in Höhe von 480,00 € sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Auf seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat ihn das Amtsgericht Tiergarten am 5. Dezember 2019 aus "rechtlichen" Gründen freigesprochen und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse Berlin auferlegt.
Das Amtsgericht hat in seinem Urteil unter anderem Folgendes ausgeführt:
"Nach Auffassung des Gerichts verstößt die faktisch fehlende Möglichkeit, mittels des Geräts Poliscan FM1 durchgeführte Geschwindigkeitsmessungen durch den Betroffenen nachprüfen zu lassen, gegen das Rechtstaatsprinzip, namentlich gegen die Grundrechte auf ein faires Verfahren und auf effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 9 Abs. 1, 36 Abs. 1 VvB).
Das Gericht schließt sich insoweit vollen Umfangs dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 05.07.2019 (Lv 7/17, NZV 2019, 414) an und macht sich dessen Argumentation zu eigen. Das jenem Urteil zugrunde liegende Geschwindigkeitsmessgerät Traffistar S 350 speichert keinerlei Rohmessdaten und erlaubt somit ebenso keine nachträgliche Überprüfung der Messung.
Anders beurteilt das Gericht auch nicht die Funktionsweise des verfahrensgegenständlichen Messgeräts Poliscan FM1. Da von bis zu 1200 Rohmessdaten lediglich zehn gespeichert werden, ist eine effektive nachträgliche Überprüfung der Messung ebenso wenig möglich wie beim Messgerät Traffistar S 350. Dies verstößt somit gleichfalls gegen das Rechtsstaatsprinzip.
Hiernach kann eine auf ein solches Messgerät gestützte Geschwindigkeitsmessung nicht zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden."
Ferner heißt es in dem Urteil:
"Sofern ein technisches Gerät, dessen Messergebnis als Beweismittel verwertet werden soll, eine Speicherung oder Aufzeichnung des Messergebnisses weder vorsieht, noch dies mit einfachen Mitteln herzustellen ist, ist das Messergebnis dennoch ohne weiteres verwertbar, wenn andere Beweismittel (z. B. Zeugenbeweis im Fall des Messgeräts Riel FG21-P) zur Verfügung stehen. Soweit es jedoch technisch ohne größeren Aufwand möglich ist, durch Speicherung von (mehr) Messdaten bzw. Rohmessdaten dem Betroffenen die nachträgliche Überprüfung eines solchen Messergebnisses zu ermöglichen, kommt es einer "Beweisvereitelung" nahe, wenn solche Speicherung bewusst nicht vorgenommen wird. Dies ist rechtsstaatlich nicht hinnehmbar."
Gegen dieses Urteil wendet sich die Amtsanwaltschaft Berlin mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Rechtsbeschwerde, die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertreten wird. Sie trägt vor, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes nicht bindend sei und sich zudem auf ein anderes Messgerät beziehe. Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem verwendeten Messgerät Poliscan FM1 handele es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Diese Einordnung sei gerade nicht davon abhängig, dass der Messvorgang anhand gespeicherter Daten rekonstruiert werden könne.
II.
1. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. den §§ 341 Abs. 2 entsprechend, 344 Abs. 1 u. 2, 345 Abs. 1 StPO form- und fristgerecht angebrachte Rechtsbeschwerde hat mit der zulässig erhobenen Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils.
2. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung des Amtsgerichts rechtsfehlerhaft ist.
Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht hat aber auf d...