Leitsatz (amtlich)

Ob dem Verteidiger in einer Staatsschutzsache verschlüsselte und mit Kopierschutz versehene Kopien der Audioaufzeichnungen der Telekommunikationsüberwachung und weiterer beim Angeklagten sichergestellter Sprach- und Textnachrichten auszuhändigen sind, bedarf einer Abwägung im Einzelfall.

 

Tenor

Auf seinen Antrag ist dem Verteidiger eine verschlüsselte und mit Kopierschutz versehene Kopie sämtlicher in diesem Verfahren angefallenen Audioaufzeichnungen der Telekommunikationsüberwachung und Skype-, WhatsApp- und Viber - Sprach- und Textnachrichten auszuhändigen.

 

Gründe

Das Landeskriminalamt hat umfangreiche TKÜ-Daten aufgrund von Überwachungsmaßnahmen generiert und bei der Auswertung beschlagnahmter Computer und des sichergestellten Handy des Angeklagten umfangreiche Skype-Chats und WhatsApp sowie Viber-Nachrichten extrahiert. Diese sind letztlich am 23. Juni 2017 dem Senat auf zwei transportablen Festplatten und zwei CD's jeweils in Kopie zur Verfügung gestellt worden.

Die Vorsitzende hat dem Verteidiger auf seinen Antrag vom 8. Juni 2017 mitgeteilt, dass er von seinem Besichtigungsrecht durch Einsichtnahme beim Landeskriminalamt Gebrauch machen kann. Mit seinem Antrag vom 29. Juni 2017 begehrt er nunmehr die Mitnahme der dem Gericht in Kopie überreichten Datenträger oder einer weiteren anzufertigenden Kopie des gesamten Datenaufkommens zwecks Einsichtnahme in seinen Kanzleiräumen. Die Generalstaatsanwaltschaft tritt nur der Herausgabe einer Kopie mit den TKÜ-Daten aufgrund der Überwachungsmaßnahmen entgegen.

I. Über den zulässigen Antrag auf ergänzende Akteinsicht durch Besichtigung der Beweismittel durch den Verteidiger in der Form, dass dem Verteidiger die im Zuge der Telekommunikationsüberwachung gespeicherten Audiodateien sowie die weiteren aus verschiedenen Medienspeicher extrahierten Aufzeichnungen in digitaler Kopie zur Einsicht überlassen werden, hat entsprechend § 147 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 letzter HS StPO derzeit der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts zu entscheiden.

II. Der Antrag ist begründet.

Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob es sich bei den zu den Akten gereichten Kopien der TKÜ-Daten und der weiteren extrahierten Aufzeichnungen nunmehr um Aktenbestandteile, deren Herausgabe die Persönlichkeitsrechte Dritter als gewichtiger Grund i.S.v. § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO entgegenstehen könnten (vgl. Mosbacher, JuS 2017, 127 m.w.N.), oder ob es sich um Augenscheinsobjekte handelt, die als amtlich verwahrte Beweismittel bereits einer Herausgabe an die Verteidigung nach § 147 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 147 Abs. 1 StPO entzogen sind (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2017, 48 m.w.N.).

In diesem Einzelfall ist dem Verteidiger - unabhängig von der rechtlichen Einordnung - eine Kopie der in dem Verfahren angefallenen Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.

1. Folgt man der Auffassung, dass die hier in Rede stehenden Ton- und Schriftaufzeichnungen Augenscheinsobjekte sind, so können die als Beweisstücke nach § 147 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 147 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur am Ort ihrer amtlichen Verwahrung besichtigt bzw. angehört werden (vgl. BGH NStZ 2014, 347). Demnach besteht grundsätzlich ein Verbot der Herausgabe von Daten der Telekommunikationsüberwachung und sonstiger Aufzeichnungen an den Verteidiger aus dem Kontrollbereich der Justiz (vgl. KG NStZ 2016, 693; HansOLG NStZ 2016, 695; OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 2 Ws 8/15 - mit kritischer Anmerkung von Wesemann/Mehmeti in StraFo 2015, 102-107; vgl. auch OLG Celle StV 2016, 146 mit kritischer Anm. von Killinger StV 2016, 149; OLG Karlsruhe NJW 2012, 2742; allgemein für Beweisstücke Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Aufl., § 147 Rd. 30 m.w.N.).

a) Denn die Aufzeichnung von Telefongesprächen führt zu einem Eingriff in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) Dritter, der durch die Weitergabe von Kopien unkontrollierbar vertieft würde. Bei der Telekommunikationsüberwachung werden sämtliche Gespräche ohne Differenzierung nach den Gesprächspartnern oder den Inhalten der Gespräche aufgezeichnet und anschließend ausgewertet. Damit werden - wie auch hier - regelmäßig auch Gespräche mit oder zwischen Personen erfasst, die offensichtlich in keiner Weise mit der aufzuklärenden Tat in Verbindung stehen. Zudem besteht die Möglichkeit der Aufzeichnung von Gesprächen, die dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Da bei den Überwachungsmaßnahmen keine realistische Möglichkeit besteht, den erforderlichen Grundrechtsschutz für betroffene Dritte schon im Rahmen der Aufzeichnungen der Gespräche sicherzustellen, und da der Grundrechtseingriff nicht nur in der Aufzeichnung und dem anschließenden Abhören der Gespräche besteht, sondern sich durch die Speicherung, Verwendung und Weitergabe der gewonnenen Informationen fortsetzt und vertieft (BVerfG NJW 2004, 999, 1005), muss im Verlauf des weiteren Verfahrens darauf geachtet werden, dass der bestehende Grundrechtseingriff auf ke...

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