Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 05.07.2012; Aktenzeichen 323 OWi 581/12) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen § 3 Abs. 3 (zu ergänzen: Nr. 1), 49 (zu ergänzen: Abs. 1 Nr. 3) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 350,00 Euro verurteilt. Auf die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte, fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, hat der Senat (Einzelrichter) mit Beschluss vom 21. Dezember 2012 gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen.
Die Rechtsbeschwerde hat mit der ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren verletzt, indem es seinem Verteidiger keine Akteneinsicht in die bei den Gerichtsakten befindliche Bedienungsanleitung für das bei der Geschwindigkeitsmessung eingesetzte Gerät gewährt habe, und die Verteidigung des Betroffenen im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO unzulässig beschränkt, indem es den auf die mangelnde Akteneinsicht gestützten Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung abgelehnt habe, Erfolg.
1. Dem dem Betroffenen mit Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 1. März 2012 gemachten Vorwurf, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 25 km/h überschritten zu haben, lag eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Überwachungsgerät Policescan Speed zugrunde, bei dem es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2010 - 3 Ws (B) 213/10 - juris Rn. 9). Nachdem der Verteidiger des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, beraumte das Amtsgericht Tiergarten Hauptverhandlungstermin auf den 5. Juli 2012 an. Mit am selben Tage bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 12. Juni 2012 beantragte der Verteidiger des Betroffenen Akteneinsicht und erklärte, diese erstrecke sich ausdrücklich auch auf die Bedienungsanleitung zum Messgerät, da zur Überprüfung, ob das Gerät ordnungsgemäß bei der Messung eingestellt, insbesondere, ob es entsprechend der von dem Hersteller vorgegebenen Weise auch verwendet und justiert worden sei, eine Prüfung der Vorgabewerte durch den Hersteller in der Bedienungsanleitung unerlässlich sei. Mit Faxschreiben vom 21. Juni 2012 forderte das Amtsgericht vom Polizeipräsidenten in Berlin unter anderem die Bedienungsanleitung an, die am 27. Juni 2012 bei Gericht einging und als Beistück zu den Akten genommen wurde. Der Bedienungsanleitung war ein Vorblatt beigefügt, das die Überschrift "Achtung, Urheberrecht" enthielt sowie den Vermerk "Wurde nur für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellt". Im Hauptverhandlungstermin vom 5. Juli 2012 beantragte der Verteidiger des Betroffenen zunächst, den nicht erschienenen Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Diesem Antrag gab das Gericht statt. Ferner beantragte er, die Hauptverhandlung gemäß §§ 265 Abs. 4, 228 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG auszusetzen und Akteneinsicht insbesondere in die Bedienungsanleitung des Messgeräts zu gewähren. Zur Begründung führte er an, er habe bereits mit Schriftsatz vom 12. Juni 2012 Akteneinsicht insbesondere im Hinblick auf die Bedienungsanleitung des Messgeräts beantragt. Eine derartige Akteneinsicht sei ihm nicht gewährt worden. Für eine ordnungsgemäße Verteidigung in der Hauptverhandlung sei die Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung und die Besprechung mit dem Betroffenen zwingend notwendig. Da eine solche Vorbereitung nicht mehr möglich sei, sei wie beantragt zu entscheiden. Das Gericht lehnte den Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung mit der Begründung ab, eine Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des Messgeräts sei zur Sachaufklärung nicht erforderlich. Es handele sich vorliegend um ein standardisiertes Messverfahren mit einem geeichten Gerät. Außerdem bestünden Bedenken gegen eine Aushändigung der Bedienungsanleitung, da es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handele und es vom Polizeipräsidenten in Berlin nur für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellt worden sei.
2. Dem Verteidiger des Betroffenen war Akteneinsicht auch in die Bedienungsanleitung des Messgeräts zu gewähren. Das Akteneinsichtsrecht ergibt sich aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 147 StPO und umfasst auch Schriftstücke und Unterlagen, die für den Betroffenen als belastend oder entlastend von Bedeutung sein könnten. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit und dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen. Nur das Einsichtsrecht des Verteidiger...