Leitsatz (amtlich)
Wenn ein als Strafverteidiger tätiger, aber unbekannter Rechtsanwalt wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Untersuchungshaft genommen wird, kann dies im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung von einem überwiegenden öffentlichen Informationsinteresse sein.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 27 O 503/22) |
Tenor
1. Die gegen die teilweise Zurückweisung seines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschluss des Landgerichts Berlin vom 15. Dezember 2022 - 27 O 503/22 - gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
A. I. Die sofortige Beschwerde ist statthaft und zulässig. Insbesondere wahrt die am 20. Dezember 2022 beim Landgericht eingegangene Beschwerde die 2-Wochen-Frist des § 569 Absatz 1 ZPO, da diese mit der Zustellung des Beschlusses am 19. Dezember 2022 zu laufen begann. Auch die Formvorschriften des § 569 Absatz 2 ZPO sind gewahrt.
II. Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Dem Antragsteller steht gemäß §§ 823 Absatz 1, 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1, 1 Absatz 1 GG kein Anspruch auf Unterlassung der identifizierenden Wortberichterstattung in der ... unter der Überschrift "..." zu.
1. Die Berichterstattung der Antragsgegnerin über die gegenüber dem Antragsteller erhobenen Verdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge greift - ebenso wie die Mitteilung der Anordnung von Untersuchungshaft - allerdings in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers ein. Die einem Beschuldigten identifizierende Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufes, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, Randnummer 19).
2. Ob dieser Eingriff gerechtfertigt ist, ist aufgrund einer Abwägung des Rechts des Antragstellers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 Absatz 1 GG, Artikel 8 Absatz 1 EMRK mit dem in Artikel 5 Absatz 1 GG, Artikel 10 EMRK verankerten Recht der Antragsgegnerin auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden (siehe nur BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, Randnummer 22). Danach handelt es sich bei der Berichterstattung um eine noch zulässige Verdachtsberichterstattung.
a) Bei ansehensbeeinträchtigenden Tatsachenbehauptungen wird die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ganz wesentlich vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen bestimmt. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, Randnummer 25; BGH, Urteil vom 18. Dezember 2018 - VI ZR 439/17, Randnummer 12; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10, Randnummer 12). Auch wahre Tatsachenbehauptungen sind indes nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr können sie rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussage geeignet ist, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten oder eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden droht (BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, Randnummer 21).
b) Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Artikel 5 GG; § 193 StGB). Auf die vom Landgericht zutreffend wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts im angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen.
c) Geht es - wie hier - um eine Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat, so ist zu berücksichtigen, dass Straftaten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sympathie mit den Opfern, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise und Schwere von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei schweren Gewaltverbrechen ist in der Regel ein über bloß...