Leitsatz (amtlich)

Das Ausscheiden eines Richters aus dem erkennenden Spruchkörper führt zum Wegfall seiner Eigenschaft als "gesetzlicher Richter" i.S. von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und damit zu seiner Verhinderung i.S. von § 320 Abs. 4 S. 3 ZPO.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 20.04.2015; Aktenzeichen 32 O 362/11)

 

Tenor

Die im Schriftsatz der Beklagten vom 13.05.2015 enthaltenen Anträge auf Berichtigung des Tatbestands des am 20.04.2015 verkündeten Urteils des Senats -8 U 23/14- werden zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Anträge sind zulässig. Sie sind innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils des Senats (§ 320 Abs. 1, 2 ZPO) gestellt. Wegen der immer gegebenen Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde fehlt ihnen - trotz Unanfechtbarkeit des Urteils - auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 320 Rn 10).

Bei der Entscheidung über sie wirken gemäß § 320 Abs. 4 S. 2 ZPO nur der Vorsitzende Richter am Kammergericht Bulling und der Richter am Kammergericht Dittrich mit, da die Richterin am Kammergericht Spiegel mit Ablauf des 31.05.2015 dem Senat nicht mehr angehört und damit "verhindert" i.S. von § 320 Abs. 4 S. 2, 3 ZPO ist. Das Ausscheiden eines Richters aus dem erkennenden Spruchkörper führt zum Wegfall seiner Eigenschaft als "gesetzlicher Richter" i.S. von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und damit nach der Regelung des § 320 Abs. 4 S. 2, 3 ZPO zur Entscheidung in der "verbleibenden Besetzung" (s. BGH, Urt. v. 01.02.2002 -V ZR 357/00, NJW 2002, 1426, bei Juris Tz 16 f.; ferner BVerwG, Beschl. v. 11.10.1993 -2 B 32/93, Juris Tz 5; Hess. LAG, Beschl. v. 10.06.2005 -17 Sa 1257/03, Juris Tz 1; vgl. auch BFH, Beschl. v. 08.05.2003 -IV R 63/99, NJW 2003, 3440, bei Juris Tz 8 f.). Soweit demgegenüber teilweise die Ansicht vertreten wird, dass der Begriff der "Verhinderung" in § 320 Abs. 4 ZPO im Hinblick auf die zu verhindernde Folge einer Unmöglichkeit der Tatbestandsberichtigung wegen Verhinderung aller Richter "eng" auszulegen sei und insbesondere das Ausscheiden aus dem Spruchkörper insoweit noch nicht genüge (vgl. LAG Hamm, Beschl. v. 11.03.2015 -12 Ta 91/15, Juris Tz 17 f.; OLGR Frankfurt 2007, 216; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 320 Rn 12; Einsiedler MDR 2011, 1456), vermag der Senat dem nicht zu folgen (ebenso Schmidt JR 1993, 458 f.; Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 320 Rn 7; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, 4. Aufl., § 320 Rn 22). Auch das Tatbestandsberichtigungsverfahren betrifft eine richterliche Amtshandlung (vgl. Schmidt a.a.O.). Die mit einer einschränkenden Auslegung des Begriffs der Verhinderung in § 320 Abs. 4 ZPO für diese verbundene Erweiterung des Begriffs des gesetzlichen Richters erscheint weder zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes geboten, noch lässt sich mit hinreichender Sicherheit und für den Rechtssuchenden vorhersehbar bestimmen, in welchen Fällen das Ausscheiden des Richters aus dem Spruchkörper zu einer "Verhinderung" führt und in welchen nicht. Es wäre dann die Frage zu entscheiden, welche Relevanz einer Pensionierung zukommt, ein Wechsel des Gerichts, des Gerichtsbezirks, des Bundeslands etc. Die enge Auslegung des Begriffs der "Verhinderung" ist daher mit nicht hinzunehmenden Unsicherheiten verbunden.

Über die Anträge war mündlich zu verhandeln, da die Beklagten dies beantragt haben (§ 320 Abs. 3 ZPO).

II. pp.

III. pp.

 

Fundstellen

Haufe-Index 8645476

MDR 2015, 1439

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