Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 26.07.2017; Aktenzeichen 343 OWi 438/17) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 26. Juli 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 15. März 2017 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Seine dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat (vorläufigen) Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
"Der Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, kann der (vorläufige) Erfolg nicht versagt werden. Denn der Betroffene dringt mit der zulässigen Verfahrensrüge durch, das Amtsgericht habe die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG zu Unrecht bejaht.
Nach § 74 Abs. 2 OWiG kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Maßgebend ist nicht, was er selbst zur Entschuldigung vorgetragen hat, sondern ob sich aus den Umständen, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt und im Wege des Freibeweises feststellbar waren, eine ausreichende Entschuldigung ergibt. Ein Betroffener ist nicht zur Glaubhaftmachung oder gar zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet. Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, so darf der Einspruch nur verworfen werden, wenn das Amtsgericht sich die Überzeugung verschafft hat, dass genügende Entschuldigungsgründe nicht gegeben sind; bleibt zweifelhaft, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist, sind die Voraussetzungen einer Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht gegeben (vgl. KG-Beschluss vom 22. März 2002 - 3 Ws (B) 48/02 -).
In Fällen der Erkrankung ist das Ausbleiben des Betroffenen nicht erst dann entschuldigt, wenn er verhandlungsunfähig ist; es genügt, dass ihm infolge der Erkrankung das Erscheinen vor Gericht nicht zuzumuten ist. Eine ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Bescheinigung hat, selbst wenn sie nur eine Arbeits- oder Terminsunfähigkeit bescheinigt, einen relativ hohen Beweiswert. Der Umstand, dass in dem Attest keine näheren Angaben über den Krankheitszustand und die Diagnose enthalten ist, und es auch nicht erkennen lässt, ob die Erkrankung einem Erscheinen in der Hauptverhandlung tatsächlich entgegensteht, erlaubt es nicht, den Einspruch zu verwerfen (vgl. KG-Beschluss vom 2. Juni 2003 - (5) 1 Ss 157/03 (33/03) -).
Die Unmöglichkeit der Nachprüfung rechtfertigt nicht die Feststellung, der Betroffene sei nicht entschuldigt gewesen. Dass das Attest eines Arztes in der xxx schwerer überprüfbar ist als das eines Arztes in xxx, darf nicht zum Nachteil des Betroffenen gewertet werden, der sich - nicht vorwerfbar - zum Zeitpunkt der mitgeteilten Erkrankung in der xxx aufgehalten hat. Daher muss auch für das Attest eines ausländischen Arztes gelten, dass eine darin bescheinigte Verhinderung so lange als genügende Entschuldigung anzusehen ist, als nicht die Unglaubwürdigkeit des Attestes feststeht (vgl. KG-Beschluss vom24. Mai 2006 - (3) 1 Ss 254/05 (133/05) -).
Für eine Entscheidung nach § 74 Abs. 2 OWiG bedarf es der Überzeugung des Gerichts, dass eine genügende Entschuldigung tatsächlich nicht vorlag; bloße Zweifelreichen noch nicht aus. Der bloße, wenn auch naheliegende Verdacht, der Betroffene sei nicht entschuldigt, rechtfertigt die Verwerfungsentscheidung noch nicht. Wenn demgegenüber das Gericht meint, einem Betroffenen sei trotz bescheinigter Krankheit das Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar, muss es im Urteil darlegen, warum es von der Unrichtigkeit des Attestes überzeugt ist und warum es die Krankheit in ihren Auswirkungen für so unbedeutend hält, dass diese einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegensteht (vgl. KG-Beschluss vom 23. April 2015 - (2) 161 Ss 39/15 (29/15) -). Daran fehlt es hier.
Ferner ist der Begriff der verschuldeten Säumnis nicht nur objektiv zu bestimmen, sondern setzt auch eine Pflichtverletzung des Betroffenen in subjektiver Hinsicht voraus. Das Nichterscheinen kann einem Betroffenen nicht zum Vorwurf gereichen, wenn er im berechtigten Vertrauen auf die Richtigkeit einer ärztlichen Diagnose und gegebenenfalls ärztlichen Rates davon ausgeht, aus gesundheitlichen Gründen einen Gerichtstermin nicht wahrnehmen zu können oder zu sollen, und zudem annehmen kann, das eingereichte Attest reiche aus, ihn genügend zu entschuldigen (vgl. KG-Beschluss vom 5. September 2012 - (3) 161 Ss 124/12 (93/12) -). Dass der Betroffene im vorliegenden Fall nicht darauf vertrauen durfte, durch das von ihm vorgelegte Attest vom xxx 2017 ausreichend entschuldigt zu sein, lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht feststellen, den...