Leitsatz (amtlich)
1. Die Zuständigkeit des Landgerichts als Beschwerdegericht oder als Berufungsgericht richtet sich ausschließlich danach, ob ihm die Akten gemäß § 321 Satz 2 StPO vorgelegt worden sind. Erfolgt die Beschlussfassung zu einem Zeitpunkt, nachdem ihm die Akten im vorgenannten Sinne bereits vorlagen, so entscheidet es als das mit der Hauptsache befasste Gericht. Es ist ohne Bedeutung, wie das Landgericht selbst seine Entscheidung verfahrensmäßig einordnet.
2. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist trotz des Zeitablaufs von 11 Monaten seit Begehung der Tat noch verhältnismäßig, wenn in der Zwischenzeit die Ermittlungen, das Zwischenverfahren und das Hauptverfahren andauerten und der Angeklagte kein schutzwürdiges Vertrauen auf den vorläufigen Erhalt seiner Fahrerlaubnis bilden konnte. Die lange Zeitdauer zwischen angeblicher Tatbegehung und vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung relativiert, wenn eine (etwaig) unterbliebene Verfahrensbeschleunigung das Ermittlungsverfahren und nicht den Zeitraum ab der vorläufigen Entziehung betrifft.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 17.01.2017; Aktenzeichen (575) 281 AR 234/16 Ns (131/16)) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. Januar 2017 wird, mit Ausnahme der Kostenentscheidung, die aufgehoben wird, verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Dem Beschwerdeführer wird unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, begangen am 3. August 2015 in Berlin, zur Last gelegt. Zunächst wurde das polizeiliche Ermittlungsverfahren "gegen Unbekannt" geführt. Spätestens seit dem 18. August 2015 stand der Beschwerdeführer als Tatverdächtiger fest. Unter diesem Datum wurde dem Beschwerdeführer ein Anhörungsschreiben zum Tatvorwurf übersandt. Nach Übersendung der Akten im Dezember 2015 und der Gewährung von Akteneinsicht für den Verteidiger sowie den rechtlichen Beistand des Geschädigten veranlasste die Amtsanwaltschaft Berlin im Februar 2016 polizeiliche Nachermittlungen, die durch Vernehmung des Zeugen B. erfolgten. Am 24. Mai 2016 erhob die Amtsanwaltschaft beim Amtsgericht Tiergarten - Strafrichter - wegen des vorgenannten Tatvorwurfs Anklage gegen den Beschwerdeführer. Der Amtsrichter verfügte am 31. Mai 2016 die Anklagezustellung, eröffnete am 15. Juni 2016 das Hauptverfahren und beraumte Termin zur Hauptverhandlung für den 17. August 2016 an.
Mit Beschluss vom 12. Juli 2016 hat das Amtsgericht Tiergarten dem Beschwerdeführer gemäß § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO vorläufig die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen. Am 1. August 2016 wurde der Führerschein des Beschwerdeführers sichergestellt, nachdem ihm der Beschluss bekannt gemacht worden war.
Mit Urteil vom 31. August 2016 erkannte das Amtsgericht Tiergarten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort auf eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 Euro. Es entzog dem Angeklagten außerdem die Fahrerlaubnis und ordnete an, dass die Verwaltungsbehörde ihm vor Ablauf von 12 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf. Nach den Urteilsfeststellungen habe der Angeklagte am 3. August 2015 gegen 09:00 Uhr im D. Weg in Berlin einen am rechten Fahrbahnrand geparkten PKW bei einem Ausweichmanöver gestreift und dabei einen Schaden von ca. 5.000,00 Euro verursacht. Obwohl er den Unfall bemerkt habe und sich seiner Verpflichtung zur Ermöglichung von Feststellungen im Zusammenhang mit dem Umfallgeschehen bewusst gewesen sei, habe sich der Angeklagte, ohne entsprechende Feststellungen ermöglicht zu haben, vom Unfallort entfernt.
Der Angeklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Nach Aktenübermittlung an das Berufungsgericht hat das Landgericht - Berufungskammer - durch den angefochtenen Beschluss seinen Antrag, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, abgelehnt. Der daraufhin eingelegten Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Termin zur Berufungshauptverhandlung wurde noch nicht anberaumt.
II.
1. Die Beschwerde des Angeklagten ist gemäß §§ 304 Abs. 1 i.V.m. 305 Satz 2 StPO zulässig. Das Landgericht - Berufungskammer - hat mit dem angegriffenen Beschluss - wie vom Beschwerdeführer beantragt - als erkennendes Gericht und nicht als Beschwerdegericht entschieden.
Die Zuständigkeit des Landgerichts als Beschwerdegericht oder als Berufungsgericht richtet sich ausschließlich danach, ob ihm die Akten gemäß § 321 Satz 2 StPO vorgelegt worden sind. Erfolgt die Beschlussfassung zu einem Zeitpunkt, nachdem ihm die Akten im vorgenannten Sinne bereits vorlagen, so entscheidet es als das mit der Hauptsache befasste Gericht. Es ist ohne Bedeutung, wie das Landgericht selbst seine Entscheidung verfahrensmäßig einordnet (vgl. OLG Stuttgart DAR 2002, 279; VRS 101, 40; OLG Düsseldorf NZV 1992, 202; VRS 99, 203; vgl. auch König, in: Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 111a StPO Rn. 8 m.w.H.).
Die Beschlussfassung erfolgte vorliegend zu einem Zeitpun...