Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 18.12.2014; Aktenzeichen (342 OWi) 3041 Js-OWi 10944/14 (777/14)) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 18. Dezember 2014 wird zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde wird das vorgenannte Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 25. August 2014, durch den gegen ihn wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (Benutzung eines Mobiltelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs) ein Bußgeld in Höhe von 60,00 € festgesetzt worden ist, gemäß § 74 Abs. 2 OWiG (Ausbleiben des nicht von der Verpflichtung zum Erscheinen entbundenen Betroffenen im Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung) verworfen. Gegen das Urteil hat der Betroffene rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt, die als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG) zu behandeln ist. Einen gleichzeitig gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 5. Januar 2015 verworfen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen. Sie hat (vorläufigen) Erfolg.
1. Das Amtsgericht Tiergarten hatte Termin zur Hauptverhandlung auf den 18. Dezember 2014, 10:20 Uhr, anberaumt. Bei Aufruf der Sache um 10:33 Uhr teilte der Verteidiger des Betroffenen dem Vorsitzenden mit, sein Mandant stehe "im Stau". Um 10:38 Uhr verkündete das Amtsgericht das angefochtene Urteil mit der Begründung, ein Stau könne den Betroffenen nicht entlasten, weil er sich auf diese typische Erscheinung des Großstadtverkehrs durch vorausschauende Zeitplanung einzustellen habe. Zwei Minuten später erschien der Betroffene im Gerichtssaal.
2. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Indem der Betroffene rügt, sein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid hätte nicht verworfen werden dürfen, weil er durch die Mitteilung seines Verteidigers, seine Ankunft verzögere sich wegen eines Verkehrsstaus um wenige Minuten, genügend entschuldigt gewesen sei, macht er die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn das Verteidigungsvorbringen des Betroffenen aufgrund einer vom Gesetz nicht gedeckten Verfahrensweise unberücksichtigt geblieben ist. Eine entsprechende Rüge ist zulässig, wenn mitgeteilt wird, aus welchen Umständen sich der Verfahrensfehler ergibt, ob und wie der Betroffene sich bisher eingelassen hat und was er in der Hauptverhandlung vorgetragen hätte (Senat, Beschluss vom 13. Juli 2012 - 3 Ws (B) 371/12 -; Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 80, Rn. 16c). Diesen Anforderungen genügt der vorliegende Zulassungsantrag.
Darin ist ausgeführt worden, bei Aufruf der Sache habe der Verteidiger dem Vorsitzenden auf Nachfrage mitgeteilt, die Ankunft des Betroffenen verzögere sich wegen eines Verkehrsstaus um einige Minuten. Der Vorsitzende habe den Verteidiger sodann darauf hingewiesen, aufgrund einer im Fahrzeug des Betroffenen integrierten Start-Stopp Automatik sei ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO nicht erkennbar. Zwei Minuten nach Verkündung des Verwerfungsurteils sei der Betroffene erschienen.
Daraus wird deutlich, dass der Betroffene seinen Vortrag aus der Begründung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid aufrecht erhalten hat, wonach das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Vorfalls lichtzeichenbedingt gestanden habe und der Motor aufgrund der Start-Stopp Automatik nicht in Betrieb gewesen sei.
b) Die Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei einer Verspätung des Betroffenen hat das Gericht die Grundsätze des fairen Verfahrens und insbesondere die hieraus abzuleitende Fürsorgepflicht zu beachten. Aus dieser ergibt sich nicht nur die Pflicht, mit einer gewissen Verzögerung des Betroffenen zu rechnen und eine Wartezeit von etwa 15 Minuten bis zu einer Verwerfungsentscheidung einzuhalten, sondern zusätzlich, wenn der Betroffene innerhalb dieser Wartezeit mitteilt, dass er sich verspäten, aber noch innerhalb angemessener Zeit erscheinen werde, einen weiteren Zeitraum zuzuwarten. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Betroffenen an dem verspäteten Eintreffen eine Schuld trifft oder nicht, soweit ihm nicht grobe Nachlässigkeit oder gar Mutwilligkeit zur Last fällt (Senat, Beschluss vom 29. November 2000 - 3 Ws (B) 513/00 -, NZV 2001, 356, 357; KG, Beschluss vom 13. April 2006 - 5 Ws (B) 135/06 -, Rn. 8 f., juris).
Danach hatte das Amtsgericht hier die Pflicht, jedenfalls noch wenige Minuten bis zum Eintreffen des Betroffenen zu warten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob er das Gericht von der konkreten Dauer seiner Verspätung unterrichtet hat. Sollte der Verteidiger nicht mitget...