Leitsatz (amtlich)
1.
Für die Versagung von Vollzugslockerungen ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ernstlich zu befürchten ist, der Gefangene werde sie zur Flucht nutzen oder zur Begehung einer Straftat mißbrauchen.
2.
Stellen der Vollzugsplan oder seine Fortschreibung darauf ab, daß eine Mißbrauchs-gefahr "nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden kann", so gibt diese Wortwahl gerade nicht die Überzeugung der Vollzugsbehörde wieder, es bestünden konkrete Flucht- oder Mißbrauchsbefürchtungen. Diese Formulierung beschreibt ein bloßes "non liquet" und reicht allein zur Versagung von Vollzugs-lockerungen nicht aus, weil diese damit aufgrund der stets gegebenen Restunsicher-heit vollständig im Belieben der Anstalt ständen. Die notwendige Überzeugung der Vollzugsbehörde wird auch nicht an den Stellen des Vollzugsplans eindeutig ausgesprochen, wo es heißt, der Gefangene sei "wegen Mißbrauchsbefürchtungen ... nicht geeignet." Es muß vielmehr durchgehend erkennbar sein, daß die Justizvollzugs-anstalt die Flucht- oder Mißbrauchsgefahr als positiv feststehend ansieht.
3.
Die Bedeutung und Gewichtung eines Lockerungsversagens ist mit der seither verstrichenen Zeit ins Verhältnis zu setzen. Je länger das Versagen zurückliegt, desto mehr kann das Interesse des Gefangenen an einer Erwägung erneuter Lockerungen an Bedeutung gewinnen.
4.
Allein mit der Begründung, der Gefangene nutze die anstaltsinternen Möglichkeiten nicht, kann eine im Vollzugsplan vorgenommene Versagung jedweder Ausführung keinen Bestand haben. Denn damit würde ihm die persönliche Eignung für unselbständige Lockerungen mit einem Argument abgesprochen, das seinen gesetzlichen Niederschlag im Tatbestandsmerkmal "wichtiger Anlaß" in § 35 Abs. 1 Satz 1 StVollzG gefunden hat.
Normenkette
StVollzG § 7 Abs. 2 Nrn. 1, 7, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 28.11.2008; Aktenzeichen 589 StVK 763/08 Vollz) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen werden der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstrek-kungskammer - vom 28. November 2008 und die Vollzugsplanfortschreibung der Justizvollzugsanstalt Tegel vom 9. Juli 2008, soweit dem Gefangenen darin Vollzugslockerungen, Ausführungen und die Verlegung in den offenen Vollzug versagt werden, aufgehoben.
Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats eine neue Fortschreibung des Vollzugsplans zu erstellen.
Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Gefangenen in beiden Rechtszügen zu tragen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 2.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der 39 Jahre alte Gefangene befindet sich nach vorheriger Untersuchungshaft seit dem 17. Januar 2000 ununterbrochen im Strafvollzug zur Verbüßung mehrerer langjähriger Freiheitsstrafen wegen Raubes sowie einer Freiheitsstrafe wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Zwei Drittel aller Strafen werden am 2. Oktober 2009 verbüßt sein. Das voraussichtliche Strafende ist auf den 25. April 2015 notiert.
Die gegenwärtig verbüßte Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten wurde durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. April 2004 wegen eines Verbrechens verhängt, das der Gefangene während einer Vollzugslockerung am 6. November 2003 begangen hatte. Gemeinsam mit weiteren Mittätern hatte er einen bewaffneten Raubüberfall auf einen Supermarkt verübt. Erneute Vollzugslockerungen hat der Gefangene seitdem nicht mehr erhalten.
Am 25. Juni 2008 fand die jährliche Vollzugsplankonferenz statt. In der darauf erfolgten Vollzugsplanfortschreibung der Justizvollzugsanstalt Tegel vom 9. Juli 2008 ist auf Seite 7 unter dem Punkt "Verlegung in den offenen Vollzug" [Hervorhebungen durch Unterstreichungen durch den Senat] bestimmt:
"M. hat im Rahmen der Zulassung zu eigenständigen Lockerungen sofort wieder eine einschlägige Straftat begangen. Bis heute ist nicht wirklich klar, warum er sich damals nicht anders verhalten hat. Die Rahmenbedingungen für ihn waren nicht ungünstig. Vor diesem Hintergrund kann die Gefahr neuer Straftaten trotz seines beanstandungsfreien Vollzugsverhaltens nicht ausgeschlossen werden und eine Eignung für den offenen Vollzug ist nicht gegeben ".
Die Vollzugsplanfortschreibung teilt ferner mit, daß von Vollverbüßung ausgegangen werde. Unter der Überschrift "Ergebnisse der Vollzugsplankonferenz bzw. weitere Planung" heißt es auf Seite 8, 5. und 6. Absatz:
" Vollzugslockerungen kommen derzeit nach wie vor wegen der nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließender Gefahr der Begehung neuer Straftaten nicht in Betracht.
Herr M. wird nicht zu Ausführungen zugelassen. Er nutzt derzeit die inneranstaltlichen Möglichkeiten des Kontaktes zu seiner Familie längst nicht aus (Meeting, familienfreundlicher Langzeitsprecher)."
Daraufhin beantragte der Gefangene unter dem 16. Juli 2008, die Vollzugsbehörde unter Aufhebung der entsprechenden Bestimmungen d...