Leitsatz (amtlich)
Zur Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers in der Kraftfahrzeugversicherung nach einem Kfz-Diebstahl durch verspätete Übergabe der Fahrzeugschlüssel an den Versicherer (unter Ziff. 1a. bb.):
Es fehlt an einem subjektiv schweren Verschulden des Versicherungsnehmers i.S.d. Relevanzrechtsprechung, wenn der Versicherungsnehmer nach dem Verhalten des Versicherers, insbesondere seinem Herausgabeverlangen, die Wichtigkeit und Eilbedürftigkeit der Schlüsselübergabe nicht erkennen konnte.
Die Obliegenheitsverletzung ist folgenlos, wenn zwischen der (rechtzeitig) angezeigten Diebstahlstat und dem Herausgabeverlangen des Versicherers mehr als zwei Wochen vergangen sind.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 7 O 211/08) |
Tenor
In dem Rechtsstreit A.V. AG ./. G. hat der Senat vorberaten.
Gründe
I. Danach weist der Senat gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, soweit es um die Versicherungsleistung für den Mercedes Transporter und für die Motocrossmaschinen geht. Der Senat misst dem Berufungsvorbringen der Beklagten insoweit keine Erfolgsaussicht bei. Die Sache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert sie eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil.
1. Mercedes-Transporter
a) Der Senat folgt dem LG, dass die Beklagte von ihrer Pflicht, Versicherungsleistungen aufgrund des Vorfalls am 12.2.2006 in Italien zu erbringen, jedenfalls nicht durch die Verletzung von Aufklärungsobliegenheit, die nach dem Versicherungsfall zu erfüllen sind, frei geworden ist.
aa) Entgegen den Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründungsschrift hat der Kläger nicht die Aufklärungsobliegenheit aus § 7a I (2) AKB (Stand Oktober 1998, Anlagenkonvolut K 26 zum Schriftsatz des Klägers vom 4.9.2008) verletzt, weil er im Fragebogen auf die Frage "Zu welchem Preis wurde das Fahrzeug von Ihnen erworben?" einen Betrag von 31.938,36 EUR angab, der sich aus dem Bruttokaufpreis und den Zulassungs- und Überführungskosten zusammensetzt. Die Beklagte meint, der Kläger hätte nur den Nettokaufpreis ohne die genannten Zusatzkosten eintragen dürfen. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die betreffende Frage in dem von der Beklagten formulierten Fragebogen ist nicht so gefasst, dass für den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer eindeutig nur nach dem "reinen" Kaufpreis, d.h. nach der Gegenleistung für die Übereignung der Sachsubstanz, gefragt werden sollte. Nach der Wortwahl - nicht Kaufpreis, sondern Erwerbspreis - kann die Frage ohne weiteres dahin verstanden werden, dass nach den finanziellen Aufwendungen gefragt wird, die an den Verkäufer dafür zu entrichten waren, dass er dem Versicherungsnehmer das Fahrzeug so verschafft, dass dieser es sogleich nutzen kann. Auch Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mit der betreffenden Frage den Nettopreis und nicht den Bruttopreis genannt haben wollte, sind entgegen der Ansicht der Beklagten nicht erkennbar. Die Fragestellung ist insoweit neutral.
bb) Der Senat sieht auch im Zusammenhang mit der Schlüsselübergabe keine Obliegenheitsverletzung, die zur Leistungsfreiheit führt. Der Zeitpunkt der Schlüsselübergabe - erst am 8.6.2006 - rechtfertigt eine solche Annahme nicht. Bei der Beurteilung ist zwar auch der weitere, erstmals in der zweiten Instanz vorgebrachte Sachverhalt der Beklagten zu diesem Streitpunkt, der unstreitig ist, zu berücksichtigen. Im Ergebnis ändert sich durch diesen neuen Vortrag aber nichts.
Allerdings ist der Beklagten zuzustimmen, dass der Kläger verpflichtet war, aufgrund der vertraglich vereinbarten Aufklärungsobliegenheiten der Beklagten die Fahrzeugschlüssel auf deren Verlangen unverzüglich zu übergeben (BGH VersR 2004,1117). Angesichts der besonderen Umstände des gegebenen Falles ist die Beklagte aber dennoch nicht nach § 6 Abs. 3 VVG von ihrer Leistungspflicht frei geworden. Leistungsfreiheit ist nach den Grundsätzen der Relevanzrechtsprechung zu verneinen. Nach der Relevanzrechtsprechung ist es dem Versicherer nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf eine nach § 6 Abs. 3 VVG eingetretene Leistungsfreiheit zu berufen, wenn der Obliegenheitsverstoß generell ungeeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, oder den Versicherungsnehmer subjektiv kein schweres Verschulden trifft, was weiter voraussetzt, dass der Obliegenheitsverstoß folgenlos geblieben ist (vgl. dazu BGH, a.a.O., juris-Rz. 10 m.w.N.). Der Senat sieht - in der verzögerten Hergabe der Schlüssel - in der gegebenen Situation nur ein relativ gering wiegendes Verschulden des Klägers. Der Kläger konnte seinerzeit nicht erkennen, dass die Beklagte ein gesteigertes Interesse an den Schlüsseln hatte und schon Verzögerungen bei der Übersendung vertragswidrig sind. Denn die Beklagte hatte seinerzeit in keiner Weise kenntlich gemacht, dass die schnelle Herausgabe der Schlüssel für sie Gewicht hatte. Sie hatte zwar auf die Anzeige...