Normenkette
BKatV § 4 Abs. 4; StVG § 24; StVO § 41 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 04.06.2014; Aktenzeichen 306 OWi 1005/13) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. Juni 2014 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 2 (richtig: § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Zeichen 274), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 300,00 Euro verurteilt. Von der Anordnung eines Fahrverbotes, wie im zu Grunde liegenden Bußgeldbescheid erfolgt, hat es unter Erhöhung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgelds nach § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen. Hiergegen richtet sich die zulässig auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.
Zu Recht beanstandet die Amtsanwaltschaft, dass das Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbotes durch die Tatrichterin rechtsfehlerhaft ist. Der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Tabelle 1 Buchstabe c Nr. 11.3.6 des Anhangs zur Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV ist erfüllt, weil die Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit im innerörtlichen Bereich um 34 km/h überschritten hat. Dies indiziert - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NZV 1996, 284, 285) - das Vorliegen eines groben Verstoßes der Betroffenen gegen die Pflichten einer Kraftfahrzeugführerin im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG mit der Folge, dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes bedarf (vgl. BGHSt 38, 125, 134; BGHSt 38, 231, 235 f.; BGHSt 43, 241, 247).
Nur wenn der Sachverhalt zugunsten der Betroffenen so erheblich vom Regelfall abweicht, dass er als Ausnahme zu werten ist, kann die Anwendung der Regelbeispieltechnik des Bußgeldkataloges unangemessen sein (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 1997 - 3 Ws [B] 586/97 - juris Rn. 2). Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch aus Gründen der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit enge Grenzen insoweit gesetzt, als die Feststellungen die tatrichterliche Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen müssen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. August 1997 - 3 Ws [B] 410/97 - juris Rn. 3 und 10. Juli 1998 - 3 Ws [B] 335/98 - juris Rn. 3). Dies ist hier nicht der Fall.
Das Amtsgericht hat hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse der Betroffenen lediglich festgestellt, dass diese als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb eines Telefonanbieters Kunden im gesamten Bundesgebiet betreue und auch regelmäßig die Zentrale in Köln aufsuchen müsse. Als allein erziehende Mutter von zwei Kindern sei sie zudem auf die Benutzung ihres PKWs angewiesen, da sie ihren sechsjährigen Sohn jeden Tag in die Schule bringen müsse, die 25 km von Wandlitz entfernt sei, und es weder öffentliche Verkehrsmittel noch einen Schulbus gebe. Die Kita, die ihr zweijähriges Kind besucht, sei 3 km entfernt. Sie habe keinerlei Unterstützung vom Kindesvater oder sonst von Verwandten. Hinsichtlich des Absehens vom Fahrverbot hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass ein solches die Betroffene in ihrer Lebenssituation in besonders hartem Maße treffen würde.
Grundsätzlich sind jedoch die durch die Maßregel eines Fahrverbots bedingte Einschränkung der Mobilität und berufliche oder wirtschaftliche Nachteile als häufige Folgen hinzunehmen, ohne dass schon deshalb ein Absehen von einem Fahrverbot gerechtfertigt wäre (vgl. Senat, Beschlüsse vom 19. November 2003 - 3 Ws [B] 439/03 -, 22. September 2004 - 3 Ws [B] 418/04 - juris Rn. 5, 30. September 2004 - 3 Ws [B] 439/04 - juris Rn. 4 und 25. August 2005 - 3 Ws [B] 108/05 -; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 344, 344). Vielmehr muss die Maßregel zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art führen, wie etwa der Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer oder der Existenzverlust bei einem Selbständigen, wobei nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der für eine unvorbelastete Betroffene bestehenden Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb eines Zeitraumes von vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen ist (vgl. OLG Frankfurt DAR 2002, 82 = Beschluss vom 22. Oktober 2001 - 2 Ws [B] 378/01 - juris Rn. 8). Dabei ist der Tatrichter gehalten, die dahingehende Einlassung der Betroffenen einer besonders kritischen Prüfung zu unterziehen. Hierbei hat er auch zu berücksichtigen, dass einer Betroffenen zuzumuten ist, durch eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen (Urlaub, Einstellung eines Fahrers, Benutzung anderer Verkehrsmittel usw.) die Zeit eines Fahrverbotes zu überbrücken und für die finanziellen Belastungen notfall...