Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwert bei unerbetener Telefonwerbung und unterbliebener Widerrufsbelehrung;

 

Leitsatz (amtlich)

1. Klagt ein Verbraucherverband auf Unterlassung unerbetener Telefonwerbung, so ist bei der Streitwertbemessung in Rechnung zu stellen, dass ein massiver Angriff auf Verbraucherinteressen in Rede steht, welcher das - auch verfassungsrechtlich - geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angerufenen und dessen Privatsphäre in schlechterdings nicht hinzunehmender Weise missachtet (im Streitfall 30.000 EUR).

2. Soll der Fernabsatz mit gänzlich fehlender Widerrufsbelehrung unterbunden werden, so liegt normalerweise in Anwendung von § 12 Abs. 4, Alt. 1 UWG die Reduzierung des an sich festzusetzenden Streitwerts um die Hälfte nahe (im Streitfall von 15.000 EUR auf 7.500 EUR).

 

Normenkette

ZPO § 3; UWG § 12 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 23.11.2009; Aktenzeichen 101 O 92/09)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers wird - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - der Beschluss der Kammer für Handelssachen 101 des LG Berlin vom 23.11.2009 - 101 O 92/09 - geändert:

Der Streitwert wird auf 37.500 EUR festgesetzt.

2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die gegen die Festsetzung des Streitwerts auf 2 × 5.000 EUR = 10.000 EUR mit dem Ziel der Heraufsetzung auf 2 × 30.000 EUR = 60.000 EUR eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers ist gem. § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG, § 68 Abs. 1 GKG zulässig. Teilweise hat sie auch in der Sache Erfolg.

1. Der Sache nach ist um unerbetene Telefonwerbung des Beklagten, einem Weinhändler, sowie um dessen Fernabsatz ohne Widerrufsbelehrung gestritten worden, was der Kläger, eine gem. § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG qualifizierte Einrichtung (Verbraucherzentrale), beides unterbunden wissen wollte und dies in der Klageschrift mit je 30.000 EUR bewertet hat.

2. Gemäß § 3 ZPO ist der Streitwert nach freiem Ermessen im Wege der Schätzung zu bestimmen. Maßgeblich für die Schätzung ist bei einer auf Unterlassung von Lauterkeitsrechtsverletzungen gerichteten Klage das Interesse, das der Kläger an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße hat. Dieses Interesse wird maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insb. seine Gefährlichkeit für den Wettbewerber oder Verbraucher anhand des drohenden Schadens bestimmt. Dabei sind u.a. die Unternehmensverhältnisse bei dem Verletzer (Umsätze, Größe, Wirtschaftskraft, MarktsteIlung und deren voraussichtliche Entwicklung), die Auswirkungen zukünftiger Verletzungshandlungen (Ausmaß, Intensität und Häufigkeit, insb. durch die bereits begangene Verletzungshandlung) und die Intensität der Wiederholungsgefahr (Verschuldensgrad, späteres Verhalten) zu berücksichtigen (vgl. zu Vorstehendem BGH GRUR 1990, 1052, 1053 - Streitwertbemessung; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 28. Aufl., § 12 UWG Rz. 5.3, m.w.N.).

Ein gewichtiges Indiz für die Schätzung des Interesses nach vorstehenden Grundsätzen bildet nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Angabe des Streitwerts in der Klage- bzw. Antragsschrift; denn diese Angabe erfolgt grundsätzlich noch unbeeinflusst vom Ausgang des Rechtsstreits. Sie kann daher der Streitwertfestsetzung regelmäßig zugrunde gelegt werden, es sei denn, dass sich aus den Umständen die Fehlerhaftigkeit der Angabe ergibt. Die Streitwertangabe enthebt das Gericht daher nicht der Notwendigkeit, diese anhand der Aktenlage und sonstiger Gegebenheiten unter Berücksichtigung seiner Erfahrung und in vergleichbaren Fällen erfolgter Wertfestsetzungen selbständig nachzuprüfen (vgl. KG KGReport Berlin 1998, 170, 171).

Klagt - wie hier - ein Verbraucherverband (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG), so ist das satzungsmäßig wahrgenommene Verbraucherinteresse zu schätzen, was unter Umständen - etwa bei Gesundheitsgefährdung der Verbraucher - auf einen wesentlich höheren Betrag hinauslaufen kann als beim zu bewertenden Interesse eines Mitbewerbers (Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 2. Aufl., § 12 Rz. 230 m.w.N.).

3. Nach Maßgabe vorstehender Grundsätze erweist sich der vom LG wegen der unerbetenen Telefonwerbung festgesetzte Wert von 5.000 EUR unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände des vorliegenden Falls als deutlich untersetzt, und rückt diese Verletzung wertmäßig zu Unrecht in die Nähe des Bagatellbereichs. Bei unerbetener Telefonwerbung handelt es sich um einen massiven Angriff auf Verbraucherinteressen, der das - auch verfassungsrechtlich - geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angerufenen und dessen Privatsphäre in schlechterdings nicht hinzunehmender Weise missachtet.

Unter Berücksichtigung alles Vorstehenden rechtfertigt sich im Streitfall - dem klägerischen Interesse an wirklich nachhaltiger Unterbindung dieses Grundübels Rechnung tragend - in der Tat eine Bewertung des ersten Begehrens mit 30.000 EUR (vgl. auch Senat, Beschl. v. 16.2.2010 - 5 U 26/09 sowie - noch weiter gehend: 50.000 ...

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