Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtverteidigerwechsel auf Antrag des Beschuldigten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bezeichnung eines neuen Verteidigers ist Voraussetzung des Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO.
2. Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist, dass konkrete Tatsachen vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt und daher zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann. Wenn der bestellte Verteidiger vom Angeklagten selbst ausgewählt worden ist, sind bei der Prüfung der Entpflichtungsgründe strenge Maßstäbe anzulegen.
Normenkette
StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 16.02.2023; Aktenzeichen (547 KLs) 282 Js 2665/22 (8/22)) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. Februar 2023 wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, verworfen.
Lediglich ergänzend merkt der Senat an:
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 143a Abs. 4 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht den Antrag des Angeklagten auf Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers abgelehnt.
a) Nach § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO ist die Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers für die Revisionsinstanz aufzuheben und ein neuer, vom Beschuldigten bezeichneter Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn er dies spätestens binnen einer Woche nach Beginn der Revisionsbegründungsfrist beantragt und der Bestellung des bezeichneten Verteidigers kein wichtiger Grund entgegensteht. Die mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I 2128) eingeführte Vorschrift setzt nach dem Wortlaut die konkrete Benennung eines neuen Pflichtverteidigers voraus. Nach der Gesetzesbegründung ist die Bezeichnung des neuen Verteidigers durch den Beschuldigten vor dem Hintergrund erforderlich, dass eine Auswahl von Amts wegen nicht stattfindet (vgl. BT-Drs. 19/13829, Seite 49). Aus diesem Grund verweist § 143a Abs. 3 StPO auch - anders als § 143a Abs. 2 Satz 2 StPO für die in dessen Satz 1 geregelten Fälle des Verteidigerwechsels - nicht auf § 142 Abs. 6 StPO. Es ist daher einhellige Meinung im Schrifttum, der sich der Senat anschließt, dass die Bezeichnung eines neuen Verteidigers Voraussetzung des Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO ist (vgl. Kämpfer/Travers in MüKo/StPO, 2. Auflage, § 143a Rdn. 23; Willnow in KK, StPO 9. Auflage, § 143a Rdn. 15; Krawczyk in BeckOK/StPO, 46. Edition, § 143a Rdn. 39; Hillenbrand StRR 2020, 4; von Stetten in Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 3. Auflage, § 16 Rdn. 121).
Daran fehlt es hier. Der Angeklagte hat in seinem form- und fristgerecht angebrachten Entpflichtungsantrag vom 16. Dezember 2022 keinen Rechtsanwalt bezeichnet, sondern lediglich angekündigt, er werde "noch einen neuen Rechtsanwalt benennen". Dem ist er aber nicht nachgekommen, vielmehr hat er in der Beschwerdeschrift vom 21. Februar 2023 mitgeteilt, es sei ihm "nicht möglich einen anderen Rechtsanwalt zu benennen". Gründe dafür hat er nicht genannt. An den Voraussetzungen eines Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO fehlt es deshalb ungeachtet der Frage, ob der neue Verteidiger bereits im Antrag zu benennen war oder ob dies - jedenfalls innerhalb der Frist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO - noch hätte nachgeholt werden können.
b) Auch die Voraussetzungen der nunmehr ausdrücklich in § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO kodifizierten Möglichkeit der Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers für den Fall, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist, liegen nicht vor. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Vorschrift das Ziel, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren. Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks. 19/13829, Seite 48; BGH StraFo 2020, 199; Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2020 - 4 Ws 92/20 -).
Die pauschale Begründung des Entpflichtungsantrags des Angeklagten mit der unwiderruflichen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und dem bereits zuvor unternommenen Versuch der Entpflichtung des Verteidigers ist nicht geeignet, einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zu rechtfertigen. Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers ist vielmehr, dass konkr...