Leitsatz (amtlich)
Betreibt ein ausländischer Verein das Klageerzwingungsverfahren, erfordert § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO Darlegungen zu den Vertretungsverhältnissen und zur Prozessfähigkeit (§ 56 ZPO).
Ein der Wahrnehmung palästinensischer Interessen verpflichteter Verein ist nicht Geschädigter (§§ 171, 172 StPO) einer Volksverhetzung. Denn das individualisierte Rechtsgut des § 130 StGB ist die Menschenwürde, die nur natürlichen Personen zukommt.
Hat das Klageerzwingungsverfahren neben Privatklagedelikten auch ein Offizialdelikt zum Gegenstand, so ist der Antrag insgesamt unzulässig, wenn der Antrag in Bezug auf das Offizialdelikt unzulässig ist.
Normenkette
StPO §§ 171-172, 173 Abs. 3 S. 1; StGB § 130; ZPO § 56
Tenor
Der Antrag des "X-Vereins" mit Sitz in London (Großbritannien), vertreten durch Rechtsanwalt X, auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 23. September 2015 wird als unzulässig verworfen.
Gründe
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit dem angefochtenen Bescheid die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Berlin vom 30. Juli 2015 zurückgewiesen. Mit diesem Bescheid ist dem Antragsteller die Einstellung des gegen die Beschuldigten unter anderem wegen des Vorwurfs der Volksverletzung eingeleiteten Ermittlungsverfahrens mitgeteilt worden.
Der nach § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO rechtzeitig gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist insgesamt unzulässig.
1. Die Antragsschrift entspricht nicht der durch § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO vorgeschriebenen Form. Nach dieser Vorschrift muss der Antrag die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Dazu gehört eine geschlossene und aus sich heraus verständliche Sachdarstellung. Der Antrag muss den Senat in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft eine Überprüfung der Einstellung des Verfahrens vorzunehmen (vgl. OLG Bamberg NStZ 1989, 543, 544; OLG Schleswig NStZ 1989, 286, 287; ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, u. a. Beschlüsse vom 7. Juni 1997 - 3 Ws 354/97 - und 12. September 2014 - 3 Ws 466/14 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 172 Rn. 27a).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hätten zu dem hier gebotenen Sachvortrag auch solche Darlegungen gehört, die es dem Senat ermöglichen, entsprechend § 56 ZPO die Prozessfähigkeit des betreibenden ausländischen Vereins zu prüfen. Schon wegen der vermögensrechtlichen Konsequenzen eines unbegründeten Antrags (§ 177 StPO) muss der Senat beurteilen können, ob der Antragsteller prozessfähig im zivilrechtlichen Sinne (§ 50 ZPO), also voll geschäftsfähig ist (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 172 Rn. 46 mwN). Diesbezügliche Darlegungserfordernisse ergeben sich nicht nur aus § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, sondern auch aus einer entsprechenden Anwendung des § 293 ZPO (vgl. OLG Stuttgart NJW 2009, 3524).
Die Prozessfähigkeit des Antragstellers ist hier nicht dargelegt oder sonst ersichtlich. Die Antragsschrift trägt nur vor, es handele sich dabei um einen Verein mit Sitz in London. Dass der Antrag namens "der Anzeigenerstatter und Antragsteller" gestellt wird und die Antragsschrift im weiteren zwischen dem Antragsteller und dem namentlich nicht bezeichneten Anzeigenerstatter ("Vorstandsvorsitzender" des Vereins) differenziert, trägt schon nicht zum Verständnis des Verfahrensgangs und der beteiligten Rechtssubjekte bei, die Prozessfähigkeit erhellt es jedenfalls nicht. Zur Ausgestaltung der Rechtsform und namentlich zu den Vertretungsverhältnissen des britischen Vereins schweigt die Antragsschrift, so dass der Senat nicht allein aufgrund des Antragsvorbringens auf die Prozessfähigkeit schließen kann. Bereits dies führt zur Unzulässigkeit des Klageerzwingungsantrags.
2. Soweit der betreibende Verein die Erhebung der öffentlichen Klage wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) begehrt, ist der Antrag auch unzulässig, weil der Antragsteller nicht Verletzter der behaupteten Straftat ist. Zwar ist anerkannt, dass privatrechtliche Vereinigungen und Verbände verletzt sein können, wenn sich die Straftat gegen die ihnen zugeordneten Rechtsgüter (Hausrecht, Eigentum, Vermögen) richtet (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1979, 2525). Sie werden aber nicht schon dadurch zu Verletzten im Sinne des § 172 StPO, dass zu ihren satzungsgemäßen Zielen die Pflege gemeinschaftsbezogener Rechtsgüter oder fremder Individualinteressen gehört. Denn dies liefe auf die Anerkennung eines kooperativen Popularantrags hinaus (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg, aaO., § 172 Rn. 61). Nicht verletzt ist daher zB ein Kinderschutzbund bei Kindesmisshandlungen (Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg, aaO., § 172 Rn. 61), ein Tierschutzverein bei Tierquälerei (vgl. OLG Hamm MDR 1970, 946) oder der Verband der Sinti und Roma bei einer auf die Gruppe bezogenen Volksverhetzung (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1986, 1276). Die Straftatbestände des § 130 StGB schützten nämlich nur die einz...