Leitsatz (amtlich)

1. Eine einstweilige Anordnung iSd § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG darf nur auf Antrag erlassen werden.

2. Entgegen § 114 Abs. 2 Satz 3 StVollzG ist eine einstweilige Anordnung ausnahmsweise mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar, wenn die Eilentscheidung zur Vorwegnahme der Hauptsache führt. Dasselbe gilt, wenn ein Hauptsacheantrag rechtsmissbräuchlich in einen Eilantrag umgedeutet und dann gemäß § 114 Abs. 2 StVollzG beschieden wird.

3. Zur Kontrolle von Schreiben des Bundesverfassungsgerichts im Vollzug der Sicherungsverwahrung.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 27.11.2018; Aktenzeichen 589 StVK 347/18 Vollz)

 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt Tegel wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 27. November 2018 aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller befindet sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßnahme in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Am 13. November 2018 beantragte er bei dem Landgericht Berlin "gem. § 109 StVollzG die Anstaltsleitung der JVA Tegel zu verpflichten, die Post meiner verstorbenen Mutter X ... mir verschlossen auszuhändigen."

Zur Begründung führte er an, dass er der Alleinerbe seiner Mutter sei. Am 8. November 2018 sei ihm seitens der Anstalt ein an seine Mutter adressierter Brief (dem Antragsteller per Nachsendeantrag übermittelt) "halb geöffnet und somit beschädigt" durch einen Mitarbeiter der JVA ausgehändigt worden. Dies hätte nicht geschehen dürfen, da seine Mutter "Mitglied" (gemeint ist offenbar eine Mitarbeiterin) des Bundesverfassungsgerichts gewesen sei. Zu dem Antrag hat die Justizvollzugsanstalt Tegel offenbar eine Stellungnahme abgegeben. Zum einzelnen Vorbringen der Antragsgegnerin verhält sich der gerichtliche Beschluss vom 27. November 2018 nicht.

Mit diesem Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer sodann zur Sache wie folgt entschieden:

"1. Auf den Antrag des Strafgefangenen vom 13.11.2018 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 2 StVollzG Berlin wird die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller die Post seiner verstorbenen Mutter, die an diese adressiert ist und per Nachsendeantrag Post an den Antragsteller bis zum 13.11.2018 gelangt ist, unkontrolliert auszuhändigen. Die vorläufige Zustandsregelung ist zur Abwendung eines dem Antragsteller drohenden unverhältnismäßigen Nachteils geboten."

Zur Begründung weist die Strafvollstreckungskammer u.a. auf Folgendes hin. Die Annahme der Anstalt, § 34 Abs. 2 SVVollzG Berlin erlaube eine Sichtkontrolle eines solchen Schreibens, sei "grundlegend fehlerhaft". "Auch die von dem Antragsteller behauptete Post vom Bundesverfassungsgericht unterliegt gemäß § 34 Abs. 3, § 36a SVVollzG Berlin nicht der Sichtkontrolle, wie die Antragsgegnerin selbst erkannt hat."

Eine (weitere) Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zu dem Antrag vom 13. November 2018 ist nicht ergangen.

Am 30. November 2018 ging bei der Strafvollstreckungskammer ein Schreiben der Antragsgegnerin ein, mit dem sie Rechtsbeschwerde erhob und die Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beantragte. In diesem machte die Antragsgegnerin u.a. geltend, dass mit der einstweiligen Anordnung die Hauptsacheentscheidung vorweggenommen worden sei. Zudem hätte eine einstweilige Anordnung nicht hätte erlassen werden dürfen, da diese gar nicht beantragt worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechtsbeschwerde Bezug genommen. Die Strafvollstreckungskammer verfügte sodann am 3. Dezember 2018:

"U. m. Vollzugsheft dem Kammergericht wegen der (aus hiesiger Sicht nicht zulässigen) Rechtsbeschwerde".

Dem Antragsteller teilte sie mit derselben Verfügung mit:

"Ihr Antrag vom 13.11.2018 dürfte sich durch die Entscheidung der Kammer vom 27.11.2018 erledigt haben. Sie erhalten insoweit noch die Rechtsbeschwerde der Anstalt und das Schreiben der Kammer vom 3.12.2018 zur Kenntnis."

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Im Einzelnen:

1. Zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde

Auch wenn das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss "dem Buchstaben nach" lediglich eine "einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 2 StVollzG Berlin" [richtig: StVollzG Bund] erlassen hat, welche nach § 114 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 StVollzG (Bund) grundsätzlich nicht anfechtbar ist, ist die Rechtsbeschwerde im vorliegenden Fall statthaft. Denn durch die Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer die Anstalt verpflichten wollen, die im Tenor des Beschlusses näher beschriebenen Postsendungen ohne Kontrolle an den Antragsteller auszuhändigen. Damit hat das Gericht nicht nur eine vorläufige, sondern im Falle ihrer Durchführung nicht mehr abänderbare Entscheidung getroffen und im Gewande einer einstweiligen Anordnung die Hauptsacheentscheidung ohne Not vorweggenommen. Dies wa...

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