Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenmächtiges Ausbleiben
Leitsatz (amtlich)
Ein Angeklagter bleibt bei Fortsetzung einer Hauptverhandlung nicht eigenmächtig aus, wenn dem eine Bitte des Vorsitzenden zugrunde lag.
Normenkette
StPO § 230 Abs. 1, § 231 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 21.11.2014; Aktenzeichen (576) 284 Js 6/12 Ls Ns (41/14)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Angeklagten am 18. März 2014 wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Strafe aus einer vorhergehenden Entscheidung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Dagegen hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Mit dem angefochtenen Urteil vom 21. November 2014 hat das Landgericht Berlin die Entscheidung des Amtsgerichts dahin geändert, dass der Angeklagte unter Einbeziehung einer Strafe aus einer vorhergehenden Entscheidung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wird.
II.
Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten, form- und fristgerecht eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Rüge der Verletzung der §§ 230 Abs. 1, 231 Abs. 2 StPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
1. Der Angeklagte ist, nachdem er zur Anklage vernommen war, zum Fortsetzungstermin am 7. November 2014 erschienen. Nachdem das Gericht das Fehlen eines Dolmetschers bemerkt hatte, wurde der der deutschen Sprache nicht mächtige Angeklagte vom Vorsitzenden gefragt, ob er nicht bereit wäre, den Saal zu verlassen. Da der Angeklagte dies nicht verstand, wandte sich - mit Einverständnis des Vorsitzenden - die Nebenklagevertreterin in spanischer Sprache an den Angeklagten, der daraufhin den Saal verließ. Die Sitzung wurde um 8.59 Uhr ohne den Angeklagten fortgesetzt. Sodann wurde ein Gutachten (zu etwaigen Spermaspuren an der Kleidung der Nebenklägerin) auszugsweise verlesen. Danach ergänzte die Nebenklägerin ihren Adhäsionsantrag um einen weiteren Feststellungsantrag. Im Anschluss daran wurde die Sitzung um 9.05 Uhr beendet.
2. Darin, dass das Landgericht die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten fortgesetzt hat, liegt gemäß § 338 Nr. 5 in Verbindung mit § 230 Abs. 1, § 231 Abs. 2 StPO ein zur Aufhebung des Urteils führender Rechtsfehler. Denn es liegen keine Gründe vor, welche ausnahmsweise die Fortsetzung der Verhandlung ohne den Angeklagten gestatteten.
a) Eine Fortsetzung ohne den Angeklagten gemäß § 231 Abs. 2 StPO war vorliegend nicht möglich. Denn dann hätte der Angeklagte der Hauptverhandlung eigenmächtig fern geblieben sein müssen. Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der "Eigenmacht" liegt vor, wenn der Angeklagte wissentlich und ohne Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe der weiteren Hauptverhandlung fern bleibt (vgl. BGH NJW 2011, 3249, 3252). Ein eigenmächtiges Ausbleiben ist dagegen zu verneinen, wenn der Angeklagte in dem Glauben ist, nicht zum Termin erscheinen zu müssen, etwa weil das Gericht ihm das Ausbleiben entweder gestattet oder den Anschein hervorgerufen hat, es sei mit seiner Abwesenheit einverstanden (vgl. BGHSt 37, 249, 252; 3, 187, 190; OLG Celle StraFo 2012, 140).
Angesichts des unwidersprochenen Vortrags der Revision ist vorliegend davon auszugehen, dass der Vorsitzende das Ausbleiben des Angeklagten nicht nur hingenommen, sondern - durch seine in Gestalt einer Frage formulierte Bitte - sogar selbst initiiert hat. Grund hierfür war offenkundig, dass an diesem Verhandlungstag kein Dolmetscher zugegen war und der Vorsitzende - zu Recht - eine Fortsetzung der Verhandlung scheute, da dies mit dem Anspruch des Angeklagten aus § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG unvereinbar gewesen wäre. Ebenso gesetzwidrig war es jedoch, die erforderliche Heranziehung eines Dolmetschers dadurch zu umgehen, den Angeklagten zu bitten, den Saal zu verlassen. Zwar war, nachdem der Angeklagte den Saal verlassen hatte, die Bestellung eines Dolmetschers überflüssig geworden. Doch war das Vorgehen des Vorsitzenden in keiner Weise mit dem Recht und der Pflicht des Angeklagten zur fortdauernden Anwesenheit in der Hauptverhandlung (§§ 230 ff. StPO) in Einklang zu bringen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Angeklagte der "Anregung" des Vorsitzenden letztlich widerspruchslos gefolgt ist und auch keiner der anderen Verfahrensbeteiligten - namentlich der Verteidiger und die Staatsanwältin -gegen eine solche Vorgehensweise Bedenken erhoben hätte. Es kann offen...