Leitsatz (amtlich)
Auch wenn das um Ausbildungsunterhalt nachsuchende volljährige Kind seine Obliegenheit vernachlässigt, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und zu betreiben, entfällt der Unterhaltsanspruch jedenfalls dann nicht, wenn dem volljährigen Kind auf Grund einer Erkrankung - hier: seit dem 3. Lebensjahr bestehende, komplexe Aufmerksamkeitsdefizit- und Aktivitätsstörung schwerer Form, verbunden mit einem reaktiven depressiven Syndrom - die Einsicht fehlt, dass es vor Aufnahme einer Ausbildung zunächst der fachärztlichen Therapie bedarf und es krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, der Erkrankung gegenzusteuern und die notwendigen Maßnahmen zu deren Behandlung zu ergreifen.
Verfahrensgang
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Beschluss vom 10.12.2015; Aktenzeichen 21 F 3893/13) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der am 10.12.2015 bekannt gegebene Beschluss des AG Pankow/Weißensee - 21 F 3893/13 - wie folgt geändert:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller für die Zeit vom 6.3.2012 bis zum 31.3.2013 Unterhalt i.H.v. 4.589 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5.9.2014 zu zahlen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Beschwerdewert von 4.589 EUR trägt der Antragsgegner.
Die Anträge des Antragsgegners vom 6.3.2015 und vom 8.6.2015, ihm Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsverteidigung zu bewilligen, werden zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 11.12.2014, mit dem sein Antrag, den Antragsgegner - seinen Vater - zur Zahlung von Unterhalt für die Zeit vom 6.3.2012 bis zum 31.3.2013 i.H.v. insgesamt 4.589 EUR nebst Zinsen zu verpflichten zurückgewiesen wurde. Die Abweisung wurde vom Familiengericht damit begründet, dass der Antragsteller es verabsäumt habe, seine Unterhaltsbedürftigkeit schlüssig darzulegen: Ein volljähriges Kind sei verpflichtet, grundsätzlich jede Erwerbsmöglichkeit zu nutzen, um für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Wenn das Kind, wie hier der Antragsteller, an einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und einer Lernbehinderung leide, dann sei es verpflichtet, alles zu unternehmen, um seine Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen, um in der Lage zu sein, selbst für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Das habe der Antragsteller jedoch unterlassen: Zwar könne man ihm nicht vorwerfen, dass er in der 8. Schulklasse die Tabletten gegen seine ADHS-Erkrankung eigenmächtig abgesetzt habe, so dass sich sein Gesundheitszustand daraufhin rapide verschlechterte. Aber er hätte die Tabletteneinnahme nicht erst ab März 2013, im Zuge seiner jugendpsychiatrischen Behandlung durch Frau Dr. M...wiederaufnehmen müssen, sondern diesen Schritt hätte er bereits viel früher, etwa nach dem Abbruch seiner Ausbildung zum Maler und Lackierer im März 2012, ergreifen müssen. Denn nachdem er sich seit seinem dritten Lebensjahr in ärztlicher Behandlung wegen seiner Aufmerksamkeitsdefizitstörung befand und auch wusste, dass seine schulischen Leistungen nach Absetzen der Tabletten in der 8. Klasse deutlich nachgelassen hatten, hatte er ausreichend Anhaltspunkte dafür, medizinische Maßnahmen zu ergreifen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tenor und Gründe des angegriffenen Beschlusses verwiesen.
Der Antragsteller meint, das Familiengericht habe seine Unterhaltsforderung zu Unrecht zurückgewiesen. Das Familiengericht habe aufgrund einer 'ex post-Betrachtung' geurteilt; die Entscheidung sei getroffen worden aufgrund von Erkenntnissen, die erst im Zuge der ärztlichen Behandlung durch die Jugendpsychiaterin Frau Dr. M...ab März 2013 bekannt geworden seien. Dabei habe das Familiengericht nicht berücksichtigt, dass vom Antragsteller Unterhalt nur für einen beschränkten, zeitlich vor Aufnahme der ärztlichen Behandlung liegenden Zeitraum - von Anfang März 2012 bis Ende März 2013 - begehrt werde und dass er in diesem Zeitraum aufgrund seiner Erkrankung gar nicht in der Lage war zu erkennen, dass er ärztliche Hilfe benötige. Tatsächlich habe er seinerzeit weder eine Krankheitseinsicht besessen noch sei er einsichtsfähig gewesen oder in der Lage, nach einer gewonnenen Einsicht auch zu handeln. Seine Erkrankung habe es ihm nicht erlaubt, derartige Schlüsse zu ziehen und die notwendigen Schritte zu unternehmen, um seine Gesundheit und damit auch seine Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags wird auf die Beschwerde vom 23.12.2014, die Beschwerdebegründung vom 13.1.2015 und die Schriftsätze vom 10.4.2015, vom 4.5.2015 und vom 8.6.2015 Bezug genommen.
Der Antragsgegner verteidigt die ergangene Entscheidung unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und richtig. Er meint, die Tatsache, dass der Antragsteller in der Zeit von März 2012 bis August 2012 ein Praktikum im Versicherungsbüro seines Onkels habe absolvieren können, bei dem er Briefe geschrieben und allgemeine B...