Leitsatz (amtlich)
Ist der einzige Berufsrichter durch Krankheit an der fristgerechten Urteilsabsetzung gehindert, so hat er das Urteil nach Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit ohne jede weitere Verzögerung und mit Vorrang vor anderen aufschiebbaren Dienstgeschäften zu den Akten zu bringen. Die Vorbereitung und Durchführung einer Hauptverhandlung muss demgegenüber zurücktreten, ggf. ist sie nach Feststellung der dienstlichen Verhinderung durch das Präsidium dem Vertreter zu übertragen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 06.11.2015; Aktenzeichen (580) 283 / 63 Js 6077/07 Ls Ns (112/11)) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 21. Juni 2011 - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Beleidigung in zwei Fällen und wegen Nachstellung in Tateinheit mit Beleidigung und mit Verleumdung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Auf seine hiergegen gerichtete, in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das Landgericht Berlin das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten und zwei Wochen verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und bestimmt wurde, dass drei Monate der erkannten (Gesamt-) Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Die (ebenfalls) auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht verworfen.
Das am 6. November 2015 nach zweitägiger Hauptverhandlung verkündete Urteil des Berufungsgerichts, dem eine Verständigung gemäß § 257c StPO vorangegangen war, ist am 20. Januar 2016 mit den Gründen und der Unterschrift der Vorsitzenden der 80. kleinen Strafkammer versehen zu den Akten gebracht worden. Ein Vermerk der Vorsitzenden vom selben Tag lautet: "Verspätete Urteilsabsetzung infolge insges. viereinhalb Wochen Erkrankung im Dez./Jan. 2015/2016."
Die gegen das Berufungsurteil gerichtete Revision des Angeklagten vom 11. November 2015 ist am selben Tag bei dem Landgericht eingegangen. Nach Urteilszustellung am 23. Januar 2016 hat er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. Januar 2016 beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Die zugleich erhobene Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts hat er mit am 12. Februar 2016 beim Landgericht eingegangenen Verteidigerschriftsatz ausgeführt und - neben der zur Strafzumessung durch die Kammer ausgeführten, im Übrigen allgemein (umfänglich) erhobenen Sachrüge - im Rahmen der Verfahrensrüge den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO durch einen Verstoß gegen § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO geltend gemacht.
Die Vorsitzende des erkennenden (Berufungs-)Gerichts, der der Revisionsvortrag des Angeklagten bis dahin nicht bekannt gewesen war, hat sich auf Anfrage des Senats zu der erhobenen Verfahrensrüge am 1. und 7. Juni 2016 (ergänzend) dienstlich geäußert. Danach war sie in der Zeit vom 9. bis zum 10. November 2015, vom 2. bis zum 18. Dezember 2015 und vom 4. bis zum 18. Januar 2016 (jeweils einschließlich) dienstunfähig erkrankt. Sie hat diesbezüglich ergänzend ausgeführt: "Meine Erkrankung war unvorhergesehen; soweit im Urteil von Erkrankungen der Vorsitzenden die Rede war, handelte es sich um Frau VRnLG D, nicht um mich." Nach ihrer - zwischenzeitlichen - Genesung am 18. Dezember 2015 (Freitag) hatte sie "am 21.12. und 22.12. Urlaub. Sodann war ich mit der Absetzung des - vor hiesigem Urteil gesprochenen und ebenfalls mit der Revision angegriffenen - Urteils 580-195/13 befasst (Eingang des Urteils in der Geschäftsstelle 28.12.2015) und habe das Verfahren 580 Ns 25/14 vorbereitet. [...] Die Hauptverhandlung hierzu fand am 30.12.2015 statt. Eine Terminsaufhebung erschien mir nicht angezeigt, da es sich um ein ebenfalls sehr altes Verfahren mit Tatvorwürfen aus dem Jahre 2012 handelte."
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat (vorläufigen) Erfolg. Die Revision dringt mit der Verfahrensrüge, die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils seien nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden (§ 338 Nr. 7 StPO), durch, so dass es des Eingehens auf die Sachrüge nicht bedarf.
1. Die Rüge ist in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) angebracht worden. Für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge ist es erforderlich, dass die den Mangel begründenden Tat...