Leitsatz (amtlich)
1. Eine unkritische Würdigung der Einlassung des Betroffenen und seiner Zeugen rechtfertigt nicht, vom Verhängen eines Regelfahrverbotes abzusehen.
2. Wer leichtfertig das Verhängen eines Fahrverbotes (hier: Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit innerorts um 31 km/h) riskiert, kann sich nicht ohne Weiteres auf die berufliche Konsequenzen berufen, um das Regelfahrverbot zu vermeiden (im Anschluss an die Entscheidung des Senates, Beschluss vom 27. Juli 2009 - 3 Ws (B) 419/09).
Normenkette
StVG § 24 Abs. 1, § 25; StVO § 41 Abs. 1 Anlage 2 Abschn. 7 Nr. 49, § 49 Abs. 3 Nr. 4; BKatV § 4 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 02.04.2014; Aktenzeichen (344 OWi) 3022 Js-OWi 8810/13 (509/13)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. April 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 7. Mai 2013 gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h gemäß [zu ergänzen: § 24 Abs. 1 StVG,] §§ 41 Abs. 1 StVO in Verbindung mit Anlage 2 [zu ergänzen: Abschnitt 7 laufende Nr. 49 Spalte 3 ], 49 [zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4] StVO eine Geldbuße in Höhe von 160,- Euro festgesetzt. Ferner hat er ein Fahrverbot von einem Monat verhängt und diesbezüglich eine Bestimmung über das Wirksamwerden gemäß § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Gegen diesen Bescheid hat der Betroffene zunächst unbeschränkt Einspruch eingelegt und diesen in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen sodann mit Urteil vom 2. April 2014 auf der Grundlage des im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheids zu einer Geldbuße von 300,00 Euro verurteilt und von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen.
Mit ihrer zulässigen Rechtsbeschwerde rügt die Amtsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet, dass der Tatrichter zu Unrecht von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen habe. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Die Begründung, mit der der Tatrichter von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen hat, verkennt die Bedeutung des bundeseinheitlich geltenden Bußgeldkataloges, die in ihm zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Vorbewertung der dort normierten Regelfälle und die ihn prägende Regelbeispieltechnik. Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit der Tabelle 1 Buchstabe c lfd. Nr. 11.3.6 des Anhangs zu Nr.11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV vor, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme angeordnet werden soll, ist grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen (vgl. BGHSt 38, 125 [134]; 38, 231 [235]; Senat, Beschlüsse vom 18. Juni 2014 - 3 Ws (B) 311/14 - und 30. Oktober 2013 - 3 Ws (B) 524/13 -; VRS 117, 197 [200]). Der Tatrichter ist in diesen Fällen - nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung - gehalten, ein Fahrverbot anzuordnen. Ausnahmen hiervon bedürfen nicht nur einer eingehenden Begründung, sondern einer umfassenden und kritischen Prüfung der von dem Betroffenen vorgetragenen Tatsachen. Sie muss ergeben, dass die Tatumstände erheblich zugunsten des Betroffenen von dem Regelfall abweichen, dass es sich um einen ganz besonderen Ausnahmefall handelt, den der Gesetzgeber mit der Regelung des Bußgeldkataloges und dem dort normierten Regelfahrverbot nicht erfassen wollte, oder aber dass die Anordnung der Maßregel für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellt, die er nicht durch ihm zumutbare Maßnahmen abfedern kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 18. Juni 2014 und 30. Oktober 2013, jeweils aaO., 20. August 2013 - 3 Ws 422/13 - und 19. Juni 2013 - 3 Ws 127/13 -).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zwar wird in den Urteilsgründen dargelegt, dass der Betroffene als angestellter Taxifahrer beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen sei und dass sein Arbeitgeber, der Zeuge G., in der Hauptverhandlung angegeben habe, dass er den Betroffenen weder einen Monat am Stück Urlaub geben noch ihn anderweitig beschäftigen könne. Das angefochtene Urteil lässt aber eine kritische Auseinandersetzung mit den Angaben des Betroffenen und des Zeugen G. vermissen. Der Tatrichter hat lediglich die Aussagen des Betroffenen und des Zeugen übernommen, ohne sie auf ihre Glaubhaftigkeit und Schlüssigkeit zu prüfen. Es wird - was notwendig gewesen wäre - nicht einmal mitgeteilt, über wie viele Taxis der Zeuge G. in seinem Betrieb verfügt und wie viele Angestellte er beschäftigt. So ist nicht nachvollziehbar, warum er dem Betroffenen keinen Urlaub - gegebenenfalls auch nur ein oder zwei Wochen - gewähre...