Leitsatz (amtlich)

1. Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts eines Kindes im Haager Abkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ).

2. Für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts kommt es maßgeblich auf die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts (in der Rechtsprechung genannte Faustregel: sechs Monate) sowie eine gewisse Integration in ein soziales und familiäres Umfeld an. Lebt ein Kleinkind mit seinen Eltern und den Großeltern väterlicherseits - wenn auch unterbrochen durch mehrfache vergleichsweise kurzzeitige Aufenthalte in Deutschland - insgesamt 20 Monate im Ausland (hier: Spanien), ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls regelmäßig von der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland auszugehen. Ein etwaiger innerer, nicht deutlich nach außen getretener Vorbehalt eines sorgeberechtigten Elternteils in Bezug auf eine baldige Rückkehr nach Deutschland steht dem nicht entgegen. Der andere sorgeberechtigte Elternteil (Antragsteller im Rückführungsverfahren) muss nicht den - schwierigen - Nachweis eines übereinstimmenden Bleibewillens beider sorgeberechtigten Elternteile in Bezug auf einen dauerhaften Aufenthalt im Ausland erbringen.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Pankow/Weißensee (Beschluss vom 14.05.2013; Aktenzeichen 15 F 2942/13)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des AG Pankow/Weißensee vom 14.5.2013 abgeändert:

1. Die Mutter wird verpflichtet, das Kind A., geboren am ..., innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses nach Spanien zurückzuführen.

2. Sofern die Mutter der Verpflichtung zu 1. nicht nachkommt, so ist sie und jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, verpflichtet, das Kind A., geboren am ..., an den Vater zum Zwecke der Rückführung des Kindes nach Spanien herauszugeben.

3. Zum Vollzug von Ziff. 2. wird angeordnet:

a) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, das Kind A. der Mutter oder jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, wegzunehmen und es dem Vater an Ort und Stelle zu übergeben.

b) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur Durchsetzung dieser Anordnung unmittelbaren Zwang gegen jede zur Herausgabe verpflichtete Person und erforderlichenfalls auch gegen das Kind anzuwenden.

c) Der Gerichtsvollzieher wird zum Betreten und zur Durchsuchung der Wohnung der Mutter, L...straße ..., ...Berlin, sowie der Wohnung jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, ermächtigt.

d) Der Gerichtsvollzieher wird zur Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane ermächtigt.

e) Das Jugendamt des Bezirksamtes ...von Berlin wird gem. § 9 Abs. 1 IntFamRVG ersucht, Vorkehrungen zur Gewährleistung der sicheren Herausgabe des Kindes an den Vater zu treffen.

f) Eine Vollstreckungsklausel ist für die Vollziehung nicht erforderlich.

4. Die Mutter wird darauf hingewiesen, dass der Senat für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu Ziff. 2. ein Ordnungsgeld i.H.v. bis zu 25.000 EUR sowie für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann oder die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspricht, Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten anordnen kann.

5. Die Mutter trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, einschließlich der Vollstreckungs- und Rückführungskosten.

6. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14.5.2013 hat das AG Pankow/Weißensee (Familiengericht) die Anträge des Antragstellers auf Rückführung und Herausgabe des Kindes zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Familiengericht im Wesentlichen ausgeführt, es stehe nicht fest, dass die Verbringung des Kindes durch die Mutter nach Deutschland als widerrechtlich i.S.d. Art. 3 des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) anzusehen sei. Der für sämtliche Rückführungsvoraussetzungen darlegungs- und beweisbelastete Vater habe letztlich nicht bewiesen, dass das Kind vor seiner Verbringung nach Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien gehabt hätte. Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts komme es in erster Linie auf äußere Merkmale an, erst in zweiter Linie auf den entsprechenden Willen der Person. Da vorliegend die äußeren Gesichtspunkte, insbesondere was die sozialen Bindungen angehe, jedoch keine eindeutige Zuordnung ergeben würden, sei maßgeblich auf den entsprechenden Willen der Eltern des Kindes abzustellen, insbesondere welche gemeinsamen Vorstellungen diese mit ihren jeweiligen Aufenthalten in Spanien und Deutschland verbunden hätten. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme bestünde eine ebenso große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Eltern ihren und des Kindes gewöhnlichen Aufenthalt nach Spanien verlegt hätten, wie umgekehrt dafür, dass es sich bei den Aufenthalten in Spanien lediglich um vorübergehende, vorwiegend der Unterstützung der väterlichen Familie dienende Besuchsaufenthalte bei gleichzeitiger Be...

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