Leitsatz (amtlich)
Eine Verkehrsordnungswidrigkeit und eine aus Anlass ihrer Ahndung unmittelbar danach zum Nachteil eines Polizeibeamten begangene Beleidigung sind eine Tat im prozessualen Sinn, so dass ein wegen der Straftat rechtskräftig ergangener Strafbefehl die Ahndung wegen der Ordnungswidrigkeit sperrt.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 23.07.2018; Aktenzeichen 293 OWi 432/18) |
Tenor
Auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Juli 2018 wird das Verfahren eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat am 23. Juli 2018 gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 160 Euro wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons gemäß §§ 17, 19 OWiG, §§ 23 Abs. 1a, 49 (zu ergänzen: Abs. 1 Nr. 22 StVO, §1 BKatV i.V.m. Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV Abschnitt II Lfd. Nr. 246.1 BKatV), § 24 (zu ergänzen: Abs. 1) StVG festgesetzt. Auf den form- und fristgerechten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil stellt der Senat das Verfahren nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs. 1 StPO ein, denn zwischenzeitlich ist das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs eingetreten.
1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Vorwurf, der Betroffene habe entgegen § 23 Abs. 1a StVO als Führer eines Kraftfahrzeugs während einer Fahrt auf der Rudower Straße/Johannisthaler Chaussee am 16. November 2017 um 23.40 Uhr wissentlich auf ein in seiner rechten Hand gehaltenes, eingeschaltetes Mobiltelefon geschaut.
Der Betroffene wurde in der Folge durch Polizeibeamte, die den vorgeworfenen Verkehrsverstoß beobachtet haben wollen, wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit angehalten. Während dieser polizeilichen Überprüfung in der Rudower Straße, Höhe Hausnummer 135, äußerte der Betroffene um 23.45 Uhr zu dem Polizeibeamten POM X in ehrverletzender Absicht die Worte "Halts Maul, schrei nicht so und verpiss Dich!" Insoweit hat die Strafverfolgungsbehörde ein gesondertes Verfahren wegen des Vorwurfs der Beleidigung (§ 185 StGB) eingeleitet, in dem der Betroffene durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. August 2018, rechtskräftig seit 6. September 2018, zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt wurde.
2. Dem weiteren Verfahren steht ein Verfahrenshindernis entgegen, weil durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten, der in seinen Wirkungen einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht (§ 410 Abs. 3 StPO), die Sperrwirkung des § 84 Abs. 1 OWiG eingetreten ist. Der Strafbefehl betrifft dieselbe Tat wie das vorliegende Verfahren.
a) Nach § 84 Abs. 1, Abs. 2 OWiG schließt die gerichtliche Entscheidung über die Tat deren erneute Verfolgung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten als Ordnungswidrigkeit wie auch als Straftat aus. Der Begriff der Tat ist dabei im verfahrensrechtlichen Sinne des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 264 StPO zu bestimmen; auf die materiell-rechtliche Einordnung als Tateinheit nach § 52 StGB oder Tatmehrheit nach § 53 StGB kommt es nicht an (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ 2008, 411). Eine Tat in diesem Sinne liegt demnach vor, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann, und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (BGH NStZ 2014, 102 KG, Beschl. v. 28.8.2014 - 3 Ws (B) 452/14 -, BeckRS 2014, 19167).
b) Gemäß diesen Grundsätzen hat die Rechtsprechung beispielsweise die Tatidentität zwischen einer Verkehrsordnungswidrigkeit und der Weigerung des Betroffenen zur vollständigen Personalangabe beim sich anschließenden Erstzugriff der Polizei angenommen (OLG Düsseldorf VRS 40, 273 zum aufgehobenen § 360 Abs. 1 Nr. 8 StGB; OLG Koblenz VRS 68, 216; BayObLG NJW 1994, 63 für den Fall der Unterbindung einer Ordnungswidrigkeit durch einen Polizeibeamten und der unmittelbar in diesem Zusammenhang anschließenden Weigerung der Angabe der Personalien durch den Betroffenen; a.A. OLG Düsseldorf VRS 69, 235.). Ebenso wurde Tatidentität angenommen zwischen der schuldhaften Herbeiführung eines Verkehrsunfalls und der anschließenden Beleidigung des anderen Unfallbeteiligten (BayObLG VRS 41, 382), zwischen einem Verkehrsverstoß und einer alsdann begangenen Unfallflucht (BGHSt 23, 141; KG VRS 35, 347) sowie zwischen der Weigerung des Betroffenen, seine Personalien mit dem Ziel, nicht wegen einer vorherigen Trunkenheitsfahrt belangt zu werden, anzugeben und der Widerstandsleistung bei Verbringung zur Polizeidienststelle (OLG Naumburg, Beschl. v. 26.1.2016 - 2 Rv 10/16 -, BeckRS 2016, 7559).
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