Leitsatz (amtlich)

1. Es entspricht sich festigender Rechtsprechung, dass die Verteidigung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren im Vorfeld der Hauptverhandlung und namentlich im Ermittlungsverfahren Zugang zu allen Informationen erhalten kann, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen. Denn nur mit diesen Unterlagen kann sie beurteilen, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen.

2. Dies bedeutet, dass sich der verteidigungswillige Betroffene die bereitstehenden Daten vor der Hauptverhandlung beschaffen muss und sachverständig überprüfen lassen kann. Sein Ansprechpartner ist dabei die Verwaltungsbehörde.

3. Das Kostenrisiko trägt in Bezug auf das Privatgutachten grundsätzlich der Betroffene, nur im Falle eines Freispruchs kann etwas anderes gelten (Anschluss an LG Aachen, Bes. v. 12. Juli 2018 - 66 Qs 31/18, NZV 2018, 480).

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 15.09.2020; Aktenzeichen 318 OWi 805/20)

 

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. September 2020 wird, ohne dass der Beschluss einer Begründung bedürfte (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG), verworfen.

 

Gründe

Lediglich zur Erläuterung bemerkt der Senat:

Die Beanstandung, die Zurückweisung eines Beweisantrags verletze das rechtliche Gehör, ist nicht den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO gemäß ausgeführt. Namentlich lässt sie nicht erkennen, was die Ablehnung über einen Verstoß gegen Rechtsnomen hinausheben und ihr das besondere Gewicht einer Gehörsverletzung verleihen soll.

Unabhängig hiervon liegt auch in der Sache keine Gehörsverletzung und erst recht keine Verletzung der Aufklärungspflicht oder sonstigen - einfachen - Prozessrechts vor. Die Rechtsmittelschrift lässt keinen durchgreifenden Grund erkennen, warum das Amtsgericht den erbotenen Beweis erheben und ein Sachverständigengutachten einholen musste. Es entspricht dem Wesen des hier zur Anwendung gekommenen standardisierten Messverfahrens, dass der Tatrichter erst dann Anlass zu weiterer Sachaufklärung hat, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler bestehen (vgl. BGHSt 39, 291; 43, 277; für viele auch Cierniak, zfs 2012, 664). Diese können aus der Akte ersichtlich sein oder sich aus der Beweisaufnahme ergeben. Zwar hat die Verteidigung hier darauf verwiesen, dass auf dem bei der Akte befindlichen Lichtbild nicht nur das vom Betroffenen geführte, sondern noch ein weiteres Fahrzeug abgelichtet worden sei. Die Tatrichterin hat sich mit diesem Umstand aber ausdrücklich befasst und unter Bezugnahme auf den polizeilichen Zeugen Hass, der senatsbekannt auf die Auswertung von solchen Messfotos spezialisiert ist, ausgeschlossen, dass sich die Sichtbarkeit eines weiteren Fahrzeugs auf dem Messendbild auf die Messung ausgewirkt haben kann (UA S. 6). Eine solche Bewertung ist Ausfluss freier richterlicher Beweiswürdigung, in die das Rechtsbeschwerdegericht nicht einzugreifen hat. Dass die Verteidigung die Richtigkeit der Messung - über den bloßen Umstand der Sichtbarkeit eines weiteren Fahrzeugs auf dem Messendbild - mit Tatsachen oder substanziellen Erwägungen in Frage gestellt hätte, ergibt sich aus der Rechtsmittelschrift nicht.

Es entspricht sich festigender Rechtsprechung des Senats, dass der Verteidiger auch und gerade bei standardisierten Messverfahren im Vorfeld der Hauptverhandlung und namentlich im Ermittlungsverfahren Zugang zu allen Informationen erhalten kann, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen. Denn nur mit diesen Unterlagen kann er beurteilen, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen (vgl. Senat zfs 2018, 472 m. zust. Anm. Krenberger; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2). Dies bedeutet, dass sich der verteidigungswillige Betroffene die bereitstehenden Daten vor der Hauptverhandlung beschaffen muss und sachverständig überprüfen lassen kann. Sein Ansprechpartner ist dabei die Verwaltungsbehörde. Das Kostenrisiko trägt in Bezug auf das Privatgutachten der Betroffene, nur im Falle eines Freispruchs kann etwas anderes gelten (vgl. LG Aachen NZV 2018, 480).

Der Betroffene hat die Kosten seiner nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14241166

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?