Leitsatz (amtlich)
1. Eine (zweitinstanzliche) Beschwerdeentscheidung in einem Abschiebungshaftverfahren hat nach dem Sachverhalt zu ergehen, wie er sich auf Grund der Ermittlungen im Beschwerdeverfahren zur Zeit des Erlasses der Beschwerdeentscheidung ergibt.
2. Bringt ein bis dahin "auf freiem Fuß" befindlicher Ausländer im Polizei-/Behördengewahrsam oder im Verlaufe der eine Haftentscheidung vorbereitenden richterlichen Anhörung ein Erstasylbegehren an und begründet er damit eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG, ist die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung unzulässig.
3. Die Annahme, dass das Aufenthaltsgestattungsrecht zum Zeitpunkt der zweitinstanzlichen Entscheidung erloschen sei, ist nur gerechtfertigt, wenn ein Fall des § 14 Abs. 4 AsylVfG vorgelegen hätte, der Haftantrag also nach der richterlichen Entscheidung gestellt worden wäre.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 25.09.2002; Aktenzeichen 88 T 258/02) |
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 70 XIV 2392/02 B) |
Tenor
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der Zivilkammer 88 des LG Berlin vom 25.9.2002 hinsichtlich der Beschlussformel zu Ziff. 2 und 3 geändert:
Es wird festgestellt, dass die durch den Beschluss des AG Schöneberg vom ...2002 getroffene Haftanordnung auch für den Zeitraum vom ...2002-...2002 rechtswidrig war.
Das Land Berlin hat dem Betroffenen die in den drei Rechtszügen betreffend die vorgenannte Haftanordnung zu seiner Rechtsverteidigung notwendigen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Das AG Schöneberg hat durch Beschluss vom ...2002 gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 2002 angeordnet. In seiner Anhörung an jenem Tage hat er angegeben, gestern (also am ...2002) mit dem ... nach Deutschland gekommen zu sein, aber nicht angeben zu können, wo er in Deutschland angekommen sei. Zudem hat er erklärt: "Ich bin zur Polizei gegangen, um einen Asylantrag zu stellen. (...) Ich möchte einen Asylantrag stellen. Ich kann nicht lesen und schreiben, denn ich war nicht in der Schule." Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 5 d.A. Bezug genommen.
Das LG hat auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom ...2002 festgestellt, dass die Abschiebungshaft vom ...2002 bis zum ...2002 rechtswidrig gewesen sei. Im Übrigen hat es die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Die dem Betroffenen in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen hat es dem Land Berlin nicht auferlegt.
Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass zugunsten des Betroffenen für die Zeit vom ...2002 ein Aufenthaltsgestattungsrecht gem. § 55 Abs. 1 S. 1 AsylVfG bestanden habe. Dieses entstehe mit jedem Asylgesuch i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylVfG. Ein solches Gesuch habe der Betroffene jedenfalls in seiner Anhörung vor dem AG Schöneberg am ...2002 vor Erlass des Haftbeschlusses gestellt. Das Aufenthaltsgestattungsrecht sei allerdings durch die - den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnende - Entscheidung in dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom ...2002 erloschen. Für die zu treffende Entscheidung sei der Sachstand zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich. Im Hinblick darauf (und zwar ab dem ...2002) lägen die Voraussetzungen für eine Haftanordnung vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss (Bl. 164-171 d.A.) verwiesen.
Der Betroffene hat gegen den Beschluss des LG sofortige weitere Beschwerde insoweit eingelegt, als das LG die sofortige Beschwerde hinsichtlich des Haftzeitraumes vom ... bis ...2002 zurückgewiesen hat. Zuletzt hat der Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit für den vorgenannten Zeitraum beantragt.
II. Durch den Ablauf des vom LG festgesetzten Haftzeitraumes nach Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde ist eine Erledigung der Hauptsache eingetreten (BGH, Beschl. v. 19.10.1989 - V ZB 13/89, BGHZ 109, 108 [110]). Dem hat der Betroffene in verfahrensrechtlich gebotener Weise Rechnung getragen, als er einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gestellt hat (BVerfG v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, NJW 2002, 2456).
Der Feststellungsantrag ist begründet. Der landgerichtliche Beschluss, mit dem die sofortige Beschwerde gegen den Haftanordnungsbeschluss des AG betreffend den Haftzeitraum vom ...2002 bis zum ...2002 zurückgewiesen worden ist, erweist sich nach Ansicht des Senats als rechtsfehlerhaft (§ 27 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO). Die vom LG vorgenommene Anwendung der Regelung in § 23 FGG, wonach eine Beschwerde auf neue Tatsachen und Beweise gestützt werden kann, begegnet durchgreifenden Rechtsbedenken.
Als zutreffend erweist es sich zwar, wenn davon ausgegangen worden ist, dass die Beschwerdeentscheidung nach dem Sachverhalt zu ergehen hat, wie er sich auf Grund der Ermittlungen im Beschwerdeverfahren zur Zeit des Erlasses der Beschwerdeentscheidung ergibt (BGHZ 14, 398; 25, 96). Dieser Grundsatz kann dazu führen, dass die angefochtene Verfügung vom Beschwerde...