Leitsatz (amtlich)
1.
Wird gegen den Gefangenen ein auf Fluchtgefahr gestützter Haftbefehl erlassen und daraufhin Überhaft notiert, so entfällt die Eignung für den offenen Vollzug. Der Haftbefehl führt zu einer Reduzierung des den Vollzugsbehörden zustehenden Beurteilungsspielraums auf Null mit der Folge, dass diese entsprechend der im Haftbefehl getroffenen Prognose von bestehender Fluchtgefahr auszugehen haben. Denn die in § 10 Abs. 1 StVollzG genannte Befürchtung, der Gefangene werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen, ist bedeutungsgleich mit der in § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO beschriebenen Fluchtgefahr.
2.
§ 122 StVollzG enthält keine abschließende Regelung dahingehend, dass dem Strafgefangenen nur die zur Wahrung des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlichen Beschränkungen auferlegt werden dürften, die der Haftrichter angeordnet hat.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 15.12.2005) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 15. Dezember 2005 wird verworfen.
Der Gefangene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Der Gefangene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee. Dort war er - zunächst auf der Grundlage einer Verurteilung durch das Landgericht Berlin vom 7. Oktober 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren wegen mehrerer Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (insgesamt 104 Kilogramm Haschisch) - entsprechend dem Vollzugsplan vom 2. Februar 2005 seit dem 30. März 2005 im offenen Vollzug (Haus 1) untergebracht und hatte einen Arbeitsplatz in der Küche erhalten. Am 16. Juni 2005 erließ das Amtsgericht Tiergarten in Berlin gegen den Gefangenen nach vorheriger Vernehmung einen auf Flucht- und Verdunkelungsgefahr gestützten Haftbefehl wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, nämlich ca. 20 Kilogramm Haschisch mittlerer Art und Güte (Tatzeitraum: Anfang Januar 2001 bis 1. Januar 2002). Der Ermittlungsrichter fertigte ein entsprechendes Aufnahmeersuchen, das keine Sicherungsverfügung enthielt und den "Verbleib in Plötzensee (bzw. außerhalb der Justizvollzugsanstalt Moabit)" für unbedenklich erklärte. Daraufhin veranlaßte der Anstaltsleiter die Überhaftnotierung und am 17. Juni 2005 die Verlegung des Gefangenen in den geschlossenen Vollzug im Haus 3 (Lehrter Straße) der Justizvollzugsanstalt Plötzensee und seine Ablösung aus dem Küchendienst im Haus 1. Am 12. Juli 2005 wurde der Gefangene wegen des Tatvorwurfes, der dem Haftbefehl vom 16. Juni 2005 zugrundelag, unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Oktober 2004 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt; das Urteil wurde sogleich rechtskräftig. Nachdem zunächst der Verfahrensbevollmächtigte und damalige Verteidiger des Gefangenen und sodann auch der Strafkammervorsitzende den Anstaltsleiter davon in Kenntnis gesetzt hatten, daß der Haftbefehl vom 16. Juni 2005 mit der Rechtskraft des Urteils vom 12. Juli 2005 gegenstandslos geworden war, veranlaßte der Anstaltsleiter die Löschung der Überhaftnotierung sowie am 28. Juli 2005 die Rückverlegung des Gefangenen in den offenen Vollzug des Hauses 1 und seinen erneuten Einsatz im Küchendienst ab 1. August 2005.
Der Gefangene hat zunächst - mit Schriftsatz vom 17. Juni 2005 - beantragt, den Leiter der Justizvollzugsanstalt Plötzensee im Wege des Eilverfahrens zu seiner Rückverlegung in den offenen Vollzug und Ermöglichung der Wiederaufnahme einer Arbeit zu verpflichten. Nachdem sich dieser Antrag durch die Rückverlegung des Gefangenen und seine Einsetzung am früheren Arbeitsplatz erledigt hatte, hat der Gefangene mit Schriftsatz vom 2. August 2005 seinen Eilantrag für erledigt erklärt und beantragt festzustellen, daß die Verlegung in den geschlossenen Vollzug und die damit verbundene Ablösung vom Arbeitsplatz rechtswidrig waren. Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluß als unbegründet verworfen.
Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Gefangene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
I.
Die Rechtsbeschwerde erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, da es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen.
Zwar kann die Aufklärungsrüge die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht begründen, weil durch zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen ausreichend geklärt ist, in welchem Umfang und nach welchen Rechtsgrundsätzen die Strafvollstreckungskammern in Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz den Sachverhalt zu ermitteln haben (vgl. Senat, Beschluß vom 1. März 2004 - 5 Ws 83/04 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 115 Rdn. 3 und 4 mit weiteren Nachweisen). Zudem entspricht die Rüge nicht den in § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG bestimmten Formerfordernissen. Die Rechtsbeschwerde teil...