Entscheidungsstichwort (Thema)
Adressat des gerichtlichen Hinweises auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtpunktes nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO ist der Betroffene
Leitsatz (amtlich)
1. Hat das Gericht seiner Entscheidung eine vom Bußgeldbescheid abweichende rechtliche Beurteilung der Ordnungswidrigkeit zugrunde gelegt, ist es erforderlich, den Betroffenen während des gerichtlichen Verfahrens besonders auf Veränderung des rechtlichen Gesichtpunktes hinzuweisen, so dass er Gelegenheit hat, seine Verteidigung darauf einzustellen.
2. Unterbleibt dieser Hinweis aufgrund eines Kanzleiversehens wird dieses auch nicht durch die Akteneinsicht des Verteidigers geheilt. Denn Adressat dieses förmlichen Hinweises ist der Betroffene selbst, der persönlich und individuell zu informieren ist (BGH NStZ 2013, 248).
3. Ob die durch den Verteidiger genommene Akteneinsicht dieses Versäumnis kompensieren kann, wenn der Verteidiger als schriftlich Bevollmächtigter für den vom persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen auftritt, bedarf keiner Entscheidung.
Normenkette
StPO § 265 Abs. 1; OWiG § 46 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 16.12.2015; Aktenzeichen 340 OWi 304/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Dezember 2015 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
I.
Auf den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 29. April 2015, der ihm eine fahrlässige innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen und u.a. eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt hat, hat das Amtsgericht Tiergarten den Betroffenen am 16. Dezember 2015 wegen einer vorsätzlichen innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung nach §§ 3 Abs. 3 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, 24 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 4a (ergänzt: Satz 1), 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV, lfd. Nr. 11.3.6 eine Geldbuße in Höhe von 320,00 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts steuerte der Betroffene seinen PKW mit dem amtlichen Kennzeichen B - ----------- am 25. März 2015 um 11.24 Uhr den Altstädter Ring in Richtung Moritzstraße. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war auf 50 km/h beschränkt, was ihm bewusst war. Er fuhr jedoch mit einer Geschwindigkeit von 84 km/h nach Toleranzabzug von 3 km/h, wobei er sich bewusst war, dass er die geltende Geschwindigkeitsbeschränkung deutlich überschritt.
II.
1. Die gegen dieses Urteil gerichtete, gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig, mit der er eine Verfahrensrüge wegen Verletzung rechtlichen Gehörs und die allgemeine Sachrüge erhoben hat, die keiner Entscheidung bedarf. Denn das Rechtsmittel hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg.
a.) Die Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen des fehlenden rechtlichen Hinweises des Gerichts an den Betroffenen, dass auch eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht kommt, ist zulässig, weil sie den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. Die Rüge hat den geltend gemachten Verfahrensmangel - hier die Hinweispflicht des Gerichts nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 265 Abs.1 StPO - so genau bezeichnet, dass das Rechtsbeschwerdegericht ohne Rückgriff auf die Akten prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt.
Nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers ergibt sich folgender Verfahrensablauf:
Nach rechtzeitiger Einspruchseinlegung beraumte die zuständige Richterin eine Termin zur Hauptverhandlung für den 26. August 2015 an und verfügte, dass der Ladung an den Betroffenen und dem Verteidiger folgender Zusatz beizufügen ist:
"Es wird gemäß § 265 StPO darauf hingewiesen, dass bei der gemessenen Geschwindigkeitsüberschreitung von über 50% auch eine Ahndung als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt. Die Buße könnte also ggf. deutlich erhöht werden."
Des Weiteren ordnete sie die Ladung von zwei Zeugen an.
Die Verfügung der Richterin wurde nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Der Ladung des Betroffenen und des Verteidigers fehlte der förmliche Hinweis auf eine Ahndung wegen Vorsatzes. Auch zu einem späteren Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens erfolgte ein solcher rechtlicher Hinweis nicht.
b.) Die Verfahrensrüge ist auch begründet, weil es dem Betroffenen gelungen ist, das von ihm behauptete Verfahrensgeschehen zu beweisen. Die eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Richterin und der Justizbeschäftigten ergaben nicht das Gegenteil. Vielmehr wurde der Vortrag des Betroffenen im Grundsatz bestätigt.
Hat das Gericht seiner Entscheidung eine vom Bußgeldbescheid abweichende rechtliche Beurteilung der Ordnungswidrigkeit - wie im vorliegenden Fall - zugrunde gelegt, ist es erforderlich, dem Betro...