Entscheidungsstichwort (Thema)

Würdigung einer Verteidigererklärung bei erlaubter Abwesenheit des Betroffenen

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Bereits der Antrag des Verteidigers nach Aufruf der Sache, den ordnungsgemäß geladenen, aber unentschuldigt ausgebliebenen Betroffenen von seiner Präsenzpflicht in der Hauptverhandlung zu entbinden, bedarf einer nachgewiesenen Vertretungsvollmacht nach § 73 Abs. 3 OWiG, weil der erfolgreiche Entbindungsantrag auf eine Minderung der Rechtstellung des Betroffenen hinausläuft.

2. Tritt der Verteidiger in der anschließenden Hauptverhandlung als Vertreter des Betroffenen auf, kann er die Rechtsbeschwerde nicht erfolgreich auf den Vortrag stützen, er habe nur über eine zeitlich begrenzte und zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits "abgelaufene" Vertretungsvollmacht verfügt.

 

Normenkette

OWiG § 73 Abs. 2-3, § 74 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 14.12.2022; Aktenzeichen 362 OWi 486/22)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. Dezember 2022 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Gründe

Der Senat merkt ergänzend zu der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 16. März 2023 an:

1. Der Verteidiger hat eine Inbegriffsrüge nach § 261 StPO erhoben. Er beanstandet, dass das Gericht seine Angaben zur Sache in der Hauptverhandlung am 14. Dezember 2022, an der der Betroffene erlaubt nicht teilgenommen habe, lediglich als Prozesserklärung, aber mangels einer für diesen Sitzungstag nachgewiesenen Vertretungsvollmacht nicht als Einlassung des Betroffenen habe werten und nicht den Urteilsgründen zu dessen Nachteil habe zugrunde legen dürfen. Die am 15. August 2022 zu Protokoll gereichte Vertretungsvollmacht habe sich nur "auf diese Hauptverhandlung und auf Folgetermine, aber nicht auf eine neue Hauptverhandlung nach Aussetzung erstreckt".

Der Beanstandung liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

Der Betroffene erschien zur Hauptverhandlung am 15. August 2022 trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht. Der Verteidiger überreichte die als Anlage zu Protokoll genommene Vertretungsvollmacht und stellte einen Antrag auf dessen Entbindung vom persönlichen Erscheinen, dem das Gericht nachkam. Danach erteilt der Betroffene "seinem Verteidiger (....) neben der bereits erteilten Verteidigervollmacht, besondere Vertretungsvollmacht zur Vertretung meiner Abwesenheit.

Die besondere Vertretungsvollmacht erstreckt sich insbesondere darauf,

- mich in der Hauptverhandlung am 15.08.2022 und allen Folgeterminen in meiner Abwesenheit vertreten zu dürfen,

- den Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG zu stellen,

- und alle notwendigen Erklärungen in meinem Namen in der Hauptverhandlung abgeben zu dürfen."

Während der Verhandlung machte der Verteidiger für den Betroffenen Angaben zur Person und zur Sache.

Das Gericht hat die Hauptverhandlung, die am 15. August 2022 begann und fortgesetzt werden musste, letztlich aussetzen müssen.

Zu der neu terminierten Hauptverhandlung am 14. Dezember 2022 erschien der mit Zustellungsurkunde geladene Betroffene unentschuldigt ebenfalls nicht. Der Verteidiger stellte - wie in dem Termin am 15. August 2022 - nach Aufruf und vor Beginn der Verhandlung zur Sache einen Antrag auf Entbindung des Betroffenen vom persönlichen Erscheinen, dem das Gericht erneut nachkam. Ausweislich des Protokolls machte der Verteidiger für den Betroffenen Angaben zu dessen persönlichen Verhältnissen, zur Sache, in dem er dessen Fahrereigenschaft einräumte und erhielt für den Betroffenen das letzte Wort auch nach erneutem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme. Der Verteidiger hat diesen protokollierten Sitzungsverlauf in seiner Rechtsbeschwerdebegründungsschrift auch nicht in Frage gestellt (RB S.2f).

2. Der Senat teilt die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass die Rüge jedenfalls unbegründet ist. Das Tatgericht hat rechtsfehlerfrei das Urteil u.a. auf die vom Verteidiger aufgrund der seit dem 15. August 2022 nachgewiesenen Vertretungsvollmacht für den Betroffenen gemachten Angaben zur Person und zur Sache gestützt.

a) Die Beanstandung des Verteidigers, dass sich die Vertretungsvollmacht nur auf Folgetermine einer nicht ausgesetzten Hauptverhandlung bezogen habe, überzeugt nicht. Diese Ansicht träfe nur dann zu, wenn die Vollmacht auf Fortsetzungstermine - so der juristische Fachbegriff für Sitzungstage einer ggf. mehrfach unterbrochenen, aber nicht ausgesetzten Hauptverhandlung - beschränkt gewesen wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vertretungsvollmacht erstreckte sie sich auf in Abwesenheit des Betroffenen stattfindende Folgetermine, also Hauptverhandlungstermine, die nach dem Hauptverhandlungstermin am 15. August 2022 folgen werden. Demnach standen dem Verteidiger die Befugnisse aus der Vertretungsvollmacht an...

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