Leitsatz (amtlich)

Hat das Gericht übersehen, dass die Anschlusserklärung des Nebenklägers unwirksam ist, und ihm gleichwohl einen Beistand bestellt, später aber die rechtsfehlerhafte Bestellung zurückgenommen, so trägt die durch die Bestellung entstandenen Kosten nicht der Verurteilte, sondern die Staatskasse.

 

Normenkette

StPO § 465 Abs. 1; GKG § 21 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 27.10.2008; Aktenzeichen (508) 5 Ju Js 33/08 KLs (43/08))

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Oktober 2008 wird verworfen.

Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

 

Gründe

Das Landgericht (Jugendkammer) hat die Minderjährigen Ö. und H. mit Beschluß vom 13. Oktober 2008 nach § 395 Abs. 1 Nr. 1d StPO als Nebenkläger zugelassen und zugleich gemäß § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO Rechtsanwältin F. als deren Beistand bestellt. Diese Entscheidung hat die Jugendkammer durch Beschluß vom 22. Oktober 2008 wieder aufgehoben, die Anträge auf Zulassung der Nebenklage zurückgewiesen und die Bestellung des Beistands zurückgenommen, da die Anschlußerklärungen der Verletzten "ohne Zustimmung oder Genehmigung" ihrer gesetzlichen Vertreter abgegeben worden waren. Durch Urteil vom 27. Oktober 2008 hat das Landgericht den Angeklagten teilweise freigesprochen und gegen ihn wegen der die Verletzten betreffenden sowie anderer Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verhängt. Insoweit hat das Landgericht dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt, jedoch angeordnet, daß die durch die Bestellung der Rechtsanwältin F. entstandenen Kosten der Landeskasse zur Last fallen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Überbürdung dieser Kosten auf den Angeklagten erstrebt, bleibt ohne Erfolg.

1. Der Senat ist als Beschwerdegericht zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufen, obwohl das Verfahren wegen der Revision des Angeklagten noch beim Bundesgerichtshof anhängig ist. Denn das Revisionsgericht ist gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO nur bei einer - hier nicht gegebenen - Identität der Rechtsmittelführer zuständig (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 96; Senat , Beschluß vom 19. Dezember 2008 - 1 Ws 343/08 -).

2. Das fristgemäß (§§ 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 311 Abs. 2 StPO) eingelegte Rechtsmittel ist zulässig.

a. Die Staatsanwaltschaft ist durch die angefochtene Entscheidung beschwert. Rechtsanwältin F. kann ihre Gebühren und Auslagen für die erbrachte Tätigkeit trotz der zurückgenommenen Bestellung verlangen, da sie und die Verletzten insoweit auf die Einstandspflicht des Staates vertrauen durften (vgl. OLG Schleswig JurBüro 1997, 417). Die Beschwer entfällt auch nicht deshalb, weil die Landeskasse - unabhängig von der getroffenen Kostenentscheidung des Landgerichts - ohnehin gemäß § 45 Abs. 3 RVG unmittelbar für die Vergütung des nach § 397a Abs. 1 StPO bestellten Beistands haftet. Denn diese Auslagen der Staatskasse gehören nach § 464a Abs. 1 Satz 1 StPO zu den Kosten des Verfahrens, die gemäß den §§ 465 Abs. 1 StPO, 29 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 9007 VV GKG dem Verurteilten in Rechnung gestellt werden, wenn sie nicht nach § 21 GKG von der Erhebung ausgenommen oder aus anderen Gründen niedergeschlagen worden sind.

b. Der erforderliche Beschwerdewert von über 200,00 EUR (§ 304 Abs. 3 StPO) ist erreicht. Allein die gesetzlichen Gebühren der bestellten Rechtsanwältin belaufen sich nach den Nrn. 4100, 4112, 4114 (3 Verhandlungstage) VV RVG auf 904,00 EUR.

3. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Die Jugendkammer hat den Angeklagten trotz seiner Verurteilung zu Recht von den Kosten der Bestellung des Nebenklägerbeistands gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG freigestellt.

Dem Landgericht war die Anwendung dieser Vorschrift schon bei der im Urteil nach den §§ 464 ff. StPO zu treffenden Kostengrundentscheidung nicht verwehrt. Ihr Geltungsbereich ist nicht auf das Kostenansatzverfahren beschränkt (vgl. BGH JurBüro 1980, 533; KG, Beschluß vom 31. August 2001 - 5 Ws 546/01 -).

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben. Allerdings rechtfertigt nicht jede unrichtige Sachbehandlung die Anwendung des § 21 GKG. Um einer Ausuferung von entsprechenden Anträgen mit langwierigen Prüfungen von (vermeintlichen) Rechtsverstößen vorzubeugen, verlangt die Rechtsprechung - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - für ihre Anwendung das Vorliegen eines offensichtlich schweren Fehlers (vgl. BGH MDR 2005, 956; OLG Stuttgart MDR 2008, 1043; OLG Karlsruhe NJW-RR 2008, 807; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1151). Das ist hier der Fall.

Rechtsanwältin F. hätte nicht als Beistand bestellt werden dürfen, weil die durch sie vertretenen Verletzten - trotz ihrer jeweiligen Anschlußerklärung und deklaratorischen Zulassung (§ 396 Abs. 2 Satz 1 StPO) - die Stellung eines Nebenklägers nicht ...

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