Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung eines inländischen Gerichts, dem Zustellungsersuchen eines Gerichts eines EU-Mitgliedstaats nachzukommen, stellt einen Justizverwaltungsakt, der nach §§ 23 ff EGGVG angefochten werden kann.
Ein Rechtsstreit zwischen einem ehemaligen Strafgefangenen aus einem EU-Mitgliedsstaat und inländischen staatlichen Behörden um die Nachforderung von Arbeitsentgelt für Tätigkeiten als Strafgefangener im Strafvollzug fällt nicht unter den Begriff der "Zivil- und Handeslssache" gem. Art. 1 Abs. 1 EU-Verordnung 1393/2007. Die Zustellung einer Klageschrift, die die Nachforderung eines solchen Strafgefangenenarbeitsentgelt zum Gegenstand hat, ist nicht zulässig.
Die Zustellung einer derartigen Klageschrift ist auch nicht hilfsweise nach den Regelungen des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15.11.1965 zulässig, weil es nicht Sache ausländischer Gerichte ist, über die Rechtmäßigkeit inländischer staatlicher Hoheitsakte zu entscheiden (Grundsatz der Staatenimmunität).
Normenkette
EGGVG §§ 23 ff.; EUVO 1393/2007 Art. 1 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Mitte (Aktenzeichen 70 AR I 127/15) |
Tenor
Die Zustellung einer Klageschrift ("Antrag zur Gerichtsberufung" vom 06.11.2014) des Beteiligten durch die Antragsgegnerin vom 13.5.2015 - 70 AR I 127/15 - an den Antragsteller wird für unwirksam erklärt.
Der Verfahrenswert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Beteiligte ist rumänischer Staatsangehöriger und befand sich vom 01.8.2011 bis zum 30.11.2013 im Strafvollzug in der JVA St. G.- B. Dort leistete er seinen Angaben zufolge Arbeit, für die er regelmäßig entlohnt wurde. Mit einem am 06.11.2014 durch seinen Prozessbevollmächtigten beim Tribunalul Prahova in Ploiesti (Rumänien) gestellten "Antrag zur Gerichtsberufung" verlangt er u.a. vom Antragsteller - ohne seinen Klageanspruch genau zu beziffern - in einem sog. Lohnausgleichsverfahren, über das im Internet ein Flugblatt ohne Angaben über die Autorenschaft existert, für die geleistete Arbeit weit höher als geschehen entlohnt zu werden.
Am 07.4.2015 ersuchte das Tribunalul Prahova die Antragsgegnerin um Zustellung dieser Antragsschrift u.a. an den Antragsteller. Am 13.5.2015 verfügte die Rechtspflegerin beim AG Mitte die ersuchte Zustellung. Diese erfolgte am 21.5.2015 beim Antragsteller. Hiergegen richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Antragsstellers vom 01.6.2015, der am selben Tag per Fax beim angerufenen Gericht eingegangen ist.
II. Der fristgerecht (§ 26 Abs. 1 EGGVG) gestellte Antrag des Antragstellers auf Feststellung der Unwirksamkeit der vom AG Mitte angeordneten Zustellung vom 21.5.2015 ist zulässig und begründet.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, dem Zustellungsersuchen nachzukommen, ist ein Justizverwaltungsakt, der vom Antragsteller nach §§ 23 ff. EGGVG angefochten werden kann (vgl. Zöller/Lückemann, ZPO 30. Aufl. RdNr. 15 zu § 23 EGGVG; OLG Frankfurt RIW 1991,417 ff. m.w.N.).
1. Die vorgenommene Zustellung verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 S. 1 der EU-Verordnung Nr. 1393/2007 (im Folgenden: EU-Verordnung).
Letztere Verordnung, die frühere zwischen den Mitgliedsstaaten geltende völkervertragliche Regeln wie das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZÜ) vom 15.11.1965 (BGBl. II 1977, 1452) derogiert (vgl. Geimer/Schütze-Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Komm., 3. Aufl. RdNr. 1 zu Art. 20 der VO), regelt die Übermittlung gerichtlicher oder außergerichtlicher Schriftstücke von einem in einen anderen Mitgliedsstaat zum Zwecke der Zustellung. Sie ist nur in Zivil- und Handelssachen anzuwenden.
Deutschland und Rumänien sind Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die Anwendung der Verordnung in der vorliegenden Rechtssache scheitert jedoch daran, dass die Ausgangsrechtsstreitigkeit zwischen dem Beteiligten und dem Antragsteller offenkundig keine Zivil- oder Handelssache im Sinne von Art. Abs. 1 S. 1 sondern von dem Ausschlusstatbestand der Anwendung gem. Art. 1 Abs. 1 S. 2 der EU-Verordnung umfasst ist.
Die Ausgangsrechtsstreitigkeit um die Nachforderung von Arbeitsentgelt für Arbeit als Strafgefangener im bayerischen Strafvollzug fällt nicht unter den Begriff der "Zivil- und Handelssache" gem. Art. 1 Abs. 1 S. 1 der EU-Verordnung.
Um die Frage zu beantworten, ob der Ausgangsrechtsstreit unter den Anwendungsbereich der EU-Verordnung fällt, ist zu prüfen, ob die Rechtsbeziehung zwischen dem Beteiligten als ehemaligem Strafgefangenen und dem Antragsteller durch einen Ausdruck hoheitlicher Befugnisse seitens der Bundesrepublik Deutschland als eigentlicher gegnerischer Partei hinter dem Antragsteller geprägt wird, weil Befugnisse wahrgenommen werden, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsregeln abweichend sind (vgl. EuGH Urteil v. 11.06.2015 - C-226/13 -, ZIP 2015, 1250 - 1253). Dies ist ungeachtet der offensichtlich fehlenden Passivlegitimation des Antragstellers und der Bundesrepublik Deu...