Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 29.06.2005; Aktenzeichen (529) 1 Kap Js 1855/02 Ks (6/04)) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts F.......... wird der Beschluß der 29. Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 29. Juni 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur (erneuten) Entscheidung über die Erinnerung gegen den Beschluß der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts vom 31. Mai 2005 an die Vorsitzende der Strafkammer zurückverwiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2004 beantragte die dem damaligen Angeklagten als Pflichtverteidigerin beigeordnete Rechtsanwältin S....., diesem zur Sicherung des Verfahrens einen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen, und schlug als solchen Rechtsanwalt F.......... vor. Durch Verfügung vom 30. Juni 2004 bestellte die Vorsitzende des Schwurgerichts daraufhin Rechtsanwalt F.......... zum weiteren Pflichtverteidiger des Verurteilten. Am 1. Juli 2004 führte die Geschäftsstelle des Landgerichts die Verfügung aus, deren Ausfertigungen am 2. Juli 2004 abgesandt wurden. Eine derselben ging Rechtsanwalt F.......... - wie dieser anwaltlich versichert hat - am 5. Juli 2004 zu. Die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht fand vom 10. Januar bis zum 16. Februar 2005 statt. An dem letztgenannten Tage wurde der Verurteilte wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Ferner ordnete die Strafkammer gegen ihn die Sicherungsverwahrung an. Seine Revision verwarf der Bundesgerichtshof. Die Strafakten sind noch nicht an das Landgericht zurückgelangt. Dem Senat liegt lediglich ein wenige Blatt umfassender Kostenbeschwerdeband vor.
Rechtsanwalt F.......... hat mit Schriftsatz vom 9. Mai 2005 die Festsetzung der ihm als Pflichtverteidiger zustehenden Gebühren und Auslagen in einer Gesamthöhe von 5.663,06 Euro beantragt und ausgeführt, die Abrechnung sei hier deshalb nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und nicht nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) vorzunehmen, weil ihm die Beiordnungsverfügung vom 30. Juni 2004 erst am 5. Juli 2004, mithin nach dem 1. Juli 2004, dem nach der Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 RVG relevanten Zeitpunkt, zugegangen sei.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts hat den Antrag des Rechtsanwalts durch Beschluß vom 31. Mai 2005 mit der Begründung zurückgewiesen, für die Frage, ob altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden sei, sei allein der Zeitpunkt der gerichtlichen Bestellung maßgebend, der hier vor dem 1. Juli 2004 liege. Seine dagegen gerichtete Erinnerung hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluß als unbegründet verworfen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Rechtsanwalts F.......... ist unbegründet.
Gemäß § 61 Abs. 1 RVG ist - soweit hier von Interesse - die BRAGO weiter anzuwenden, wenn der Rechtsanwalt vor dem 1. Juli 2004 gerichtlich bestellt worden ist. Da die Verfügung über die Bestellung Rechtsanwalt F........... vom 30. Juni 2004 datiert, ist auch zur Überzeugung des Senats altes Gebührenrecht anzuwenden. Allerdings vertritt die Kommentarliteratur zum RVG - meist ohne dies zu begründen - nahezu einhellig den Standpunkt, maßgeblich sei der Zeitpunkt, an dem die Verfügung über die Bestellung dem Rechtsanwalt zugegangen sei (vgl. Baumgärtel/Houben/Hergenröder/Lompe, RVG, Abschnitt 9 § 61 Rdn. 5 (S. 214); Hartung in Hartung/Römermann, RVG, § 60 Rdn. 21; Schneider in Hansens/Braun, Praxis des Vergütungsrechts [ZAP-Arbeitsbuch] Übergangsregelungen Rdn. 28 [S. 1390]; N. Schneider in Gebauer/Schneider [Hrsg.] RVG 2. Aufl., § 61 Rdn. 16; Goebel in Goebel/Gottwald [Hrsg.], RVG § 60 Rdn. 29). Demgegenüber meint Volpert in Burhoff [Hrsg.] RVG, Übergangsvorschriften (§§ 60 f.) Rdn. 28, für den Pflichtverteidiger komme es nicht auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Rechtsanwalt, sondern allein auf den Zeitpunkt der Bestellung an, und zitiert OLG Celle StV 1996, 222 (= StraFO 1996, 159), wo sich jedoch keine näheren Ausführungen dazu finden, welcher Zeitpunkt als der der gerichtlichen Bestellung (oder Beiordnung) angenommen werden kann. Letzteres gilt auch für die Entscheidungen des Kammergerichts zu § 61 Abs. 1 RVG (vgl. u. a. Beschlüsse vom 17. Januar 2005 - (1) 2 StE 10/03-2 (4/03) - und vom 18. Juli 2005 - 3 Ws 323/05 - m.N.).
Für den Armenanwalt hat das OLG Stuttgart in AnwBl. 1980, 114 den Standpunkt vertreten, maßgebend sei der Zeitpunkt des Zugangs des Beiordnungsbeschlusses beim Anwalt, weil jener erst mit dem Zugang diesem gegenüber wirksam werde. Demgegenüber stellt das OLG Hamm (StraFo 2005, 351 f. = NStZ-RR 2005, 286 = RVGreport 2005, 261) auf das Datum der Bestellung des Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden ab. Die Beiordnung werde mit Erlaß "des Beiordnungsbeschlusses" durch den Vorsitzenden wirksam. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Rechtsanwalt sei für die Wirksamkeit ohne Bedeutung, auch wenn der Beschluß gemäß §§ 35 Abs. 2, 34 StPO bekanntzumach...