Leitsatz (amtlich)
Werden in der Rechtsbeschwerdebegründung die tatsächlichen Grundlagen einer Verfahrensrüge in einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG entsprechenden Form vorgetragen, so ist es unschädlich, wenn die Rechtsbeschwerde dem Wortlaut nach nur die Verletzung materiellen Rechts rügt und ein Hinweis auf die verletzte Verfahrensnorm fehlt.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 05.05.2011; Aktenzeichen 318 OWi 926/10) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anl. 2 (zu ergänzen: lfd. Nr. 49, Z. 247), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 320,00 Euro verurteilt, nach § 25 Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat gegen ihn verhängt und gemäß § 25 Abs. 2 a Satz StPO eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die als Rüge der Verletzung sachlichen Rechts bezeichnet worden ist, hat mit der in ihr enthaltenen Verfahrensrüge Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde ist mit der in ihr enthaltenen Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe § 261 StPO verletzt, indem es ein in die Hauptverhandlung eingeführtes wesentliches Beweismittel bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt und in den Urteilsgründen nicht erörtert habe, begründet.
Zwar ist die Rechtsbeschwerde in ihrer Begründung einleitend lediglich darauf gestützt worden, diese werde "als allgemeine Sachrüge qualifiziert". Auch ist § 261 StPO in der Rechtsbeschwerdebegründung nicht zitiert worden. Werden jedoch in der Rechtsbeschwerdebegründung die tatsächlichen Grundlagen einer Verfahrensrüge in einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG entsprechenden Form vorgetragen, so ist es unschädlich, dass die Rechtsbeschwerde dem Wortlaut nach nur die Verletzung materiellen Rechts rügt und ein Hinweis auf die verletzte Verfahrensnorm fehlt, denn entscheidend ist nicht die Bezeichnung der Rüge, sondern ihre wirkliche rechtliche Bedeutung, wie sie dem Sinn und Zweck des Vorbringens zu entnehmen ist (vgl. zum Revisionsverfahren BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06 - [...] Rn. 21 f. m.w.N.).
Diesen Anforderungen entspricht die vorliegende Rechtsbeschwerde mit dem in ihr enthaltenen Vortrag einer Verletzung von § 261 StPO. Denn mit ihr wird geltend gemacht, im Hauptverhandlungstermin sei das - in der Rechtsbeschwerdebegründung wiedergegebene - schriftliche Gutachten des technischen Sachverständigen Dipl.-Ing. H. vom 3. März 2011 verlesen worden, nach dem die durchgeführte Geschwindigkeitsmessung mit dem Laser-Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerät Riegl FG 21-P nicht verwertbar sei, da die Voraussetzungen der Gebrauchsanleitung nicht erfüllt seien und der Aligne-Test nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Im angefochtenen Urteil sei dieses Gutachten jedoch nicht einmal erwähnt worden und fehle jegliche Auseinandersetzung mit dessen dem Gutachten des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen M. entgegenstehenden Inhalt. Auch der Sachverständige M. habe sich mit dem Gutachten nicht auseinandergesetzt.
Damit hat der Betroffene jedoch inhaltlich einen mit der Verfahrensrüge geltend zu machenden Verstoß gegen § 261 StPO beanstandet. Denn nach dieser Vorschrift hat das Tatgericht sein Urteil aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen, muss dann aber auch alle wesentlichen Tatsachen und Beweisergebnisse, die dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu entnehmen sind, erschöpfend in einer Gesamtschau würdigen, also das gesamte Ergebnis der Hauptverhandlung seiner Entscheidung zugrunde legen (vgl. BGH NStZ 2006, 650 (651) und 2008, 705 (706); StraFO 2011, 151; NStZ-RR 2011, 214). Auch wenn es allein Aufgabe des Tatrichters ist, in seinem Urteil das Ergebnis der Beweisaufnahme festzustellen und zu würdigen, und das Rechtsbeschwerdegericht an das dort zur Schuldfrage und Rechtsfolge Festgehaltene gebunden ist, ist letzterem die Prüfung, ob sich das Tatgericht mit allen wesentlichen beweiserheblichen Umständen im Urteil auseinandergesetzt hat, dann nicht verwehrt, wenn sich die Erörterungsbedürftigkeit eines Beweisergebnisses ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung ohne weiteres allein mit den Mitteln des Revisionsrechtes feststellen lässt, beispielsweise bei in der Hauptverhandlung protokollierten Aussagen oder verlesenen Urkunden (vgl. Senat StV 2003, 320 m.w.N.; BGH NStZ 2006, 650 (651) und NStZ-RR 2011, 214 (215)). Dies ist vorliegend der Fall, da das in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift als in der Hauptverhandlung verlesen bezeichnete und vollständig wiedergegebene schriftliche Sachverständigengutachten ausweislich des Hauptverhandlungsprotokoll...