Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung der Rechtswidrigkeit einer vollzogenen Disziplinarmaßnahme. Irrtümliche Annahme einer Pflichtwidrigkeit eines Gefangenen durch den Anstaltsleiter. Festsetzung einer Disziplinarmaßnahme auf Grundlage einer falschen Tatsache

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 17.06.2003; Aktenzeichen 543 StVK 237/03 Vollz)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 17. Juni 2003 aufgehoben.

  • 2.

    Auf den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung wird der Disziplinarbescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel vom 27. Februar 2003 aufgehoben, soweit

    • a)

      er die Art und die Dauer der festgesetzten Disziplinarmaßnahmen betrifft, und

    • b)

      durch ihn die dem Gefangenen in dem Disziplinarbescheid vom 20. Dezember 2002 bewilligte Aussetzung der Vollstreckung der dort verhängten Disziplinarmaßnahme widerrufen worden ist.

      Über die Festsetzung einer Disziplinarmaßnahme wegen des dem Bescheid vom 27. Februar 2003 zugrunde liegenden Pflichtenverstoßes hat der Anstaltsleiter neu zu entscheiden.

  • 3.

    Der weiter gehende Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

  • 4.

    Die Kosten des Verfahrens und die dem Gefangenen in beiden Rechtszügen erwachsenen notwendigen Auslagen tragen die Landeskasse Berlin und der Gefangene je zur Hälfte.

 

Gründe

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2002 verhängte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel gegen den Gefangenen die Disziplinarmaßnahme der getrennten Unterbringung während der Freizeit (§ 103 Abs. 1 Nr. 5 StVollzG) für die Dauer von vier Tagen, weil der Gefangene am 06. November 2002 im Besitz eines langen, scharfen Messers war. Die Vollstreckung der Maßnahme setzte der Anstaltsleiter auf drei Monate zur Bewährung aus. Am Tage vor dem Erlass dieses Bescheides, dem 19. Dezember 2002, wurden im Haftraum des Gefangenen zwei Bilderrahmen und eine Buchstütze aus Glas aufgefunden, die er ohne Zustimmung der Vollzugsbehörde im Besitz hatte. Wegen des Pflichtenverstoßes, den der Anstaltsleiter hierin sah, ordnete er gegen den Gefangenen durch Bescheid vom 27. Februar 2003, dem Gefangenen schriftlich bekannt gegeben am 10. März 2003, als Disziplinarmaßnahmen die Beschränkung des Fernsehempfangs und der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen (§ 103 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StVollzG) sowie die getrennte Unterbringung während der Freizeit (§ 103 Abs. 1 Nr. 5 StVollzG) für jeweils vier Tage an. Zur Begründung von Art und Dauer dieser Maßnahmen führte er - irrtümlich - aus, der Gefangene habe die erneute Pflichtwidrigkeit während der ihm in dem Bescheid vom 20. Dezember 2003 bewilligten Bewährungszeit, begangen. Mit derselben Begründung widerrief er in dem Bescheid vom 27. Februar 2003 die Aussetzung der Vollstreckung der am 20. Dezember 2003 verhängten Disziplinarmaßnahme. Die Maßnahmen aus beiden Bescheiden wurden bis zum 17. März 2003 vollständig vollstreckt.

Mit seinem am 24. März 2003 bei Gericht eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet sich der Gefangene gegen jeden Disziplinarbescheid vom 27. Februar 2003. Er bestreitet, dass er mit dem Besitz der genannten Gegenstände gegen ihm obliegende Pflichten verstoßen habe (§102 Abs. 1 StVollzG), und hat beantragt festzustellen, dass die Disziplinarmaßnahmen nicht rechtmäßig gewesen sind, zumindest aber anzuordnen, dass die Maßnahmen nicht in die Personalakte aufgenommen werden. Mit dem Beschluss vom 17. Juni 2003 hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass die in dem Bescheid vom 27. Februar 2003 verhängten Disziplinarmaßnahmen "unangemessen" waren und der Widerruf der mit Bescheid vom 20. Dezember 2002 bewilligten Bewährung zu Unrecht erfolgt ist.

1.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs.. 1 StVollzG. Die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer. Da die Sache spruchreif ist, entscheidet der Senat nach § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG an Stelle der Strafvollstreckungskammer über den Antrag des Gefangenen.

Mit Recht beanstandet der Anstaltsleiter, dass die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss dem von dem Gefangenen gestellten Feststellungsantrag entsprochen hat. Die in § 115 Abs. 3 StVollzG bestimmten Voraussetzungen für einen Feststellungsausspruch sind nicht erfüllt. Der Feststellungsantrag des Gefangenen ist als Antrag auf Aufhebung des Disziplinarbescheids zu behandeln (§115 Abs. 2 StVollzG).

a)

Die Feststellung, dass eine Maßnahme der Vollzugsbehörde rechtswidrig gewesen ist, kann der Gefangene nach § 115 Abs. 3 IStVollzG beantragen, wenn sich die Maßnahme vor der Entscheidung des Gerichts erledigt hat. Eine Erledigung der Maßnahme, für die das Gesetz be...

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