Entscheidungsstichwort (Thema)
Funktionelle Zuständigkeit für Streitigkeiten aus einer Vertragserfüllungsbürgschaft
Leitsatz (amtlich)
Für Streitigkeiten aus einer Vertragserfüllungsbürgschaft, die ein an dem zugrunde liegenden Bauvertrag unbeteiligter Dritter gegenüber dem Auftraggeber des Bauvorhabens übernommen hat, ist eine Sonderzuständigkeit der Kammern für Bausachen nach § 72a S. 1 Nr. 2 GVG nicht begründet.
Normenkette
BGB § 765; GVG § 72a S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 21 O 367/18) |
LG Berlin (Aktenzeichen 19 O 155/18) |
Tenor
Die allgemeinen Zivilkammern des Landgerichts Berlin werden als funktional zuständige Spruchkörper bestimmt.
Gründe
I. Die Klägerin, die sich als Bauträger betätigt, nimmt die Beklagte, eine Versicherung, aus einer Bürgschaft in Anspruch. Die Klägerin schloss mit einer ... GmbH einen Generalübernehmervertrag, der den Neubau und die Kernsanierung eines Gebäudekomplexes zum Inhalt hatte. Zur Sicherung der Ansprüche der Klägerin aus dem Vertrag stellte die Generalübernehmerin der Klägerin eine Vertragserfüllungsbürgschaft über 150.000,00 Euro. Die Klägerin macht geltend, dass ihr aufgrund einer mangelhaften und verzögerten Bauausführung Ansprüche gegen die Generalübernehmerin in Höhe von ca. 2,85 Mio. Euro zustünden, und nimmt die Beklagte nunmehr vor dem Landgericht Berlin aus der übernommenen Bürgschaft in Anspruch.
Die als Kammer für Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen fungierende Zivilkammer 19, bei der die Klage zunächst eingegangen ist, hat die Sache unter Hinweis, dass es sich um einen sonstigen Verfahrensgegenstand und nicht um eine Bausache handele, mit einer Verfügung vom 18. September 2018 formlos abgegeben. Die Zivilkammer 21, bei der die Klage hierauf als allgemeine Sache eingetragen wurde, hat sich nach deren Zustellung und Anhörung der Parteien mit einem Beschluss vom 26. Oktober 2018 förmlich für unzuständig erklärt, weil es sich um eine unter die gesetzliche Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 2 GVG fallende Streitigkeit handele. Hierauf hat sich die Zivilkammer 19 nach erneuter Anhörung der Parteien mit einem Beschluss vom 29. November 2018 ebenfalls förmlich für unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.
II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen. Ferner liegen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung auch der Sache nach vor. Zwar setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte (und nicht einzelne Spruchkörper) rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Allerdings ist die Vorschrift entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper des gleichen Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung abhängt. Dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch für die von dem Gesetzgeber neu geschaffenen §§ 72a, 119a GVG (Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 212; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. April 2018 - 13 SV 6/18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 1 AR 990/18 -, MDR 2018, 1015; Zöller/Lückemann, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 72a GVG Rn. 2; Klose MDR 2017, 793 [795]).
Schließlich sind auch die weiteren Voraussetzungen für eine obergerichtliche Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erfüllt, nachdem die Zivilkammer 21 die Zustellung der Klage veranlasst und damit die für eine Zuständigkeitsbestimmung grundsätzlich notwendige Rechtshängigkeit (§§ 253 Abs. 1, 263 Abs. 1 ZPO) hergestellt hat (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. April 2018 - 13 SV 6/18; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36 Rn. 36). Schließlich haben sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörper auch jeweils "rechtskräftig" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt. Hierfür genügt es, dass die Beschlüsse jeweils den Parteien bekanntgegeben wurden, womit es sich nicht nur um gerichtinterne Vorgänge handelt (BGH, Beschluss vom 1. Juni 1988 - IVb ARZ 26/88 -, FamRZ 1988, 1256; OLG Dresden, Beschluss vom 14. Dezember 2000 - 10 AR 31/00, OLG-NL 2001,71; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36 Rn. 35 m. w. N.).
2. Als funktional zuständige Spruchkörper waren die allgemeinen Zivilkammern des Landgerichts zu bestimmen, weil die Voraussetzungen für eine Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 2 GVG nicht vorliegen. Entsprechend dem an § 348 Nr. 2 b ZPO angelehnten Wortlaut der Vorschrift erstreckt sich ihr Anwendungsbereich auf Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen damit "alle Streitigkeiten über Ansprüche erfasst werden, die aus einem Rechtsverhältnis herrühren, in dem eine Partei eine Verpflichtung zur Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauarbe...