Leitsatz (amtlich)
1. Die Beachtung der rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts erfordert es, dass sich dessen Überlegungen im Vollzugsplan wieder finden und dass die Vollzugsbehörde nicht den Eindruck erweckt, gegen die Bindungswirkung der Entscheidung zu opponieren.
2. Die Erwägung, dem Gefangenen fehle die Vereinbarungsfähigkeit wegen der mangelnden Akzeptanz der angefochtenen Fortschreibung, und er solle deshalb zu einem harmonischen Miteinander mit der Vollzugsbehörde zurückkehren, verkennt das Wesen des in Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutzes. Von der Vollzugsbehörde kann der Gefangene verlangen, dass sie ihn nicht deshalb, weil er in einem Rechtsstreit gegen sie obsiegt hat, aus diesem Grunde schlechter beurteilt als zuvor.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 30.11.2009; Aktenzeichen 593 StVK 112/09- 593 StVK 354/09 Vollz) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 30. November 2009 aufgehoben.
2. Ferner werden die Vollzugsplanfortschreibungen des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel vom 10. November 2008 und 30. Juli 2009 aufgehoben, soweit dem Antragsteller darin Vollzugslockerungen und die Verlegung in den offenen Vollzug versagt werden.
3. Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, den Antragsteller unverzüglich unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
4. Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen und die notwendigen Auslagen des Gefangenen, letztere mit Ausnahme der im Verfahren 2 Ws 531/09 Vollz entstandenen.
5. Der Streitwert wird in beiden Rechtszügen auf 1.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I. 1. Der Antragsteller verbüßt in der JVA Tegel eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen Totschlags. Er hatte am 1. November 1997 seine Lebensgefährtin getötet. Zwei Drittel der Strafe waren am 30. November 2005 verbüßt; das Strafende ist auf den 19. März 2012 vermerkt. Danach ist noch ein Rest von 193 Tagen aus einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten wegen Meineides bis voraussichtlich zum 28. September 2012 zu vollstrecken.
Zuvor befand sich der Antragsteller bereits insgesamt etwa 20 Jahre lang in Haft, zuletzt bis zum 4. August 1995.
Die Parteien streiten um diejenigen Teile der Vollzugsplanfortschreibung, welche die Verlegung in den offenen Vollzug und die Gewährung von Vollzugslockerungen betreffen. Mit dem angefochtenen Beschluß vom 30. November 2009 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin den diesbezüglichen Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG) abgelehnt. Dagegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde. Sie hat Erfolg.
2. Im einzelnen hat sich folgendes Verfahrensgeschehen zugetragen:
a) Am 22. November 2007 schrieb der Anstaltsleiter aufgrund der Konferenz vom 10. November 2007 den Vollzugsplan fort. Die Verlegung in den offenen Vollzug lehnte er mit der Begründung ab, sie sei nicht sinnvoll, weil der Gefangene bereits Rentner sei und somit keine Freigangszulassung zur Aufnahme einer Arbeit in Betracht komme. Für Vollzugslockerungen erachtete er den Gefangenen "vor dem Hintergrund der nicht abgeschlossenen Straftataufarbeitung, der Länge der noch zu verbüßenden Haftzeit sowie in Kenntnis der Persönlichkeit des Inhaftierten" nicht für geeignet, da Mißbrauchsgefahr "nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden" könne. Ferner hielt er die Aufnahme des Beschwerdeführers in der sozialtherapeutischen Anstalt nicht für sinnvoll, weil jener zu alt sei.
Diese Fortschreibung hob die Strafvollstreckungskammer 96 des Landgerichts Berlin - 596/545 StVK (Vollz) 1195/07 - mit Beschluß vom 12. September 2008 auf, soweit die Themen Lockerungen, offener Vollzug und sozialtherapeutische Anstalt betroffen waren, und wies die Vollzugsbehörde an, unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu entscheiden. Dieser Beschluß wurde hinsichtlich der Lockerungen und des offenen Vollzuges rechtskräftig. Keine Rechtskraft erlangte er nur, soweit sich die Kammer auch mit der Ablehnung der Einweisung in die sozialtherapeutische Anstalt befaßt hatte und der Senat ihn in diesem Umfang durch Beschluß vom 19. Februar 2009 - 2 Ws 531/08 Vollz - aufgehoben hat, weil der Gefangene die Fortschreibung insoweit nicht angefochten hatte.
Die Kammer rügte in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Karlsruhe ZfStrVO 2004, 108; StV 2002, 34; Senat, Beschlüsse vom 27. August 2009 - 2 Ws 279/09 Vollz - und 8. Juni 2009 - 2 Ws 20/09 Vollz -), daß der Anstaltsleiter die Mißbrauchsgefahr nicht als konkret vorliegend festgestellt und begründet habe und daß er nicht auf das jahrelange beanstandungsfreie Vollzugsverhalten des Gefangenen eingegangen sei. Das zur Frage der Kriminalprognose im Sinne von § 57 Abs. 1 StGB eingeholte Gutachten, wonach die Gefährlichkeit des Verurteilten fortbestehe, habe die Anstalt fehlerhaft unmittelbar auf die Frage der für die Anwendung der §§...