Entscheidungsstichwort (Thema)

Lebenslange Freiheitsstrafe in Ungarn

 

Leitsatz (amtlich)

Einer Auslieferung an Ungarn zum Zwecke der Strafverfolgung wegen einer Tat, die nach ungarischem Recht (auch) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, steht das Auslieferungshindernis des § 83 Abs. 1 Nr. 4 IRG entgegen.

 

Normenkette

IRG § 83 Abs. 1 Nr. 4

 

Tenor

1. Die Auslieferung des Verfolgten an Ungarn zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in den Europäischen Haftbefehlen des Kreisgerichts Sz. vom 14. Januar 2013 - --.Bny. -----2013/2 - und des Zentralen Stadtbezirksgerichts B. vom 24. Juli 2015 - --.Bny. -----2015/2 - bezeichneten Straftaten ist unzulässig.

2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 27. August 2015 wird aufgehoben.

3. Die Landeskasse Berlin trägt die im Auslieferungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Verfolgten.

 

Gründe

Die ungarischen Behörden haben durch Übermittlung zweier Europäischer Haftbefehle um die Festnahme und Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Der seinerzeit unter dem Verdacht des Betäubungsmittelhandels in Untersuchungshaft für das Verfahren 254 Js xx der Staatsanwaltschaft Berlin befindliche Verfolgte hat sich bei seiner am 20. August 2015 durchgeführten richterlichen Vernehmung nach § 28 IRG mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41 IRG) nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität (Art. 27 RbEuHb) nicht verzichtet. Der Senat hat mit Beschluss vom 27. August 2015 die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet, die seit dem 13. Oktober 2015 vollzogen wird. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat nunmehr beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für (teilweise) zulässig zu erklären (§ 29 Abs. 1 IRG). Der Senat erklärt die Auslieferung für unzulässig und hebt seinen Auslieferungshaftbefehl auf.

1. Die übermittelten Europäischen Haftbefehle des Kreisgerichts Sz. vom 14. Januar 2013 - --.Bny. ---2013/2 - und des Zentralen Stadtbezirksgerichts B. vom 24. Juli 2015 - --.Bny. ---/2015/2 -, die jeweils zugleich als nationaler ungarischer Haftbefehl gelten, entsprechen den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG. Sie weisen aus, dass dem Verfolgten zur Last gelegt wird,

a) [--.Bny. ---2013/2] am 9. August 2012 beim O.-Festival im Außenbereich D. von O. zum Zwecke des Handeltreibens in dem Wohnmobil Mercedes mit dem amtlichen deutschen Kennzeichen xx Betäubungsmittel, nämlich 30-40 Gramm Haschischharz, 300 Gramm Marihuana, 2 Gramm Kokain und 20 Päckchen "Magic Mushrooms", verwahrt zu haben und

b) [---.Bny. ----2015/2] sich am 5. Januar 2013 dem in dem vorgenannten Verfahren gerichtlich angeordneten Hausarrest entzogen, das als dessen Ort festgelegte Grundstück xx im VII. Stadtbezirk von Bu. unerlaubt verlassen und sich an einen unbekannten Ort abgesetzt zu haben.

2. Die Auslieferung des Verfolgten ist unzulässig.

a) Hinsichtlich der Tat vom 5. Januar 2013 ergibt sich dies bereits aus der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit (§ 3 Abs. 1 IRG i.V.m. §§ 78 Abs. 1, 81 IRG). Es handelt sich nicht um eine Katalogtat im Sinne des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb, und die nach § 245 Abs. 2 lit. b des ungarischen Strafgesetzbuches als Gefangenenflucht strafbare Tat erfüllt keinen Tatbestand eines deutschen Strafgesetzes.

b) Die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat vom 9. August 2012 stellt sich hingegen als auslieferungsfähige strafbare Handlung im Sinne der §§ 3, 81 IRG dar, bei der die beiderseitige Strafbarkeit gemäß § 81 Nr. 4 IRG nicht zu prüfen ist, da es sich nach dem Recht des ersuchenden Staates um eine Katalogtat im Sinne des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb handelt, die mit einer Strafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist.

c) Der Auslieferung steht insoweit jedoch ein Auslieferungshindernis nach § 83 Abs. 1 Nr. 4 IRG entgegen. Der dem Verfolgten zur Last gelegte Betäubungsmittelhandel kann nach § 282/A Abs. 3 des ungarischen Strafgesetzbuches (auch) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werden. Ob der Verfolgte tatsächlich mit der Verhängung einer solchen Strafe rechnen muss, erscheint zwar zweifelhaft, ist für die Anwendung des § 83 Abs. 1 Nr. 4 IRG aber ohne Belang; insoweit ist allein auf die abstrakte Strafandrohung abzustellen (vgl. Senat NStZ-RR 2014, 290).

aa) Eine Auslieferung ist bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe nach § 83 Abs. 1 Nr. 4 IRG nur zulässig, wenn eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe auf Antrag oder von Amts wegen spätestens nach 20 Jahren erfolgt. Diese Möglichkeit ist nach dem ungarischen Recht nicht in einer Form gegeben, die den Anforderungen des § 83 IRG genügt.

Das ungarische Justizministerium hat mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 mitgeteilt, dass im Falle der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe das erkennende Gericht nach § 47/A des ungarischen Strafgesetzbuches zugleich über den frühestmöglichen Zeitpunkt einer bedingten Entlassung entscheidet oder aber die Möglichkeit einer bedingten Entlassung ausschließt. Wenn die bedingte Entlassung nicht ausgeschlo...

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