Leitsatz (amtlich)
1. Das in Haftsachen geltende Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte von Anfang an alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.2. Der allein in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft fallende Umstand, dass Tatgerichte nicht nur kurzfristig und unvorhersehbar überlastet sind und demzufolge ihrer unmittelbar in der Verfassung wurzelnden Pflicht zu besonders beschleunigter Bearbeitung von Haftsachen durch eine zeitnahe Verhandlung sowie eine ausreichend hohe Verhandlungsdichte nicht mehr gerecht werden können, zwingt zur Beendigung der Untersuchungshaft.3. Im Ausland erlittene Einlieferungshaft stellt zwar keine Untersuchungshaft im Sinne der §§ 112 ff. StPO dar, sodass ihre Dauer nicht unmittelbar am Maßstab der Grundrechte zu beurteilen ist. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit in der Bun-desrepublik anzuordnender (und insbesondere aufrechtzuerhaltender) Untersuchungshaft ist im Ausland bereits vollzogene Einlieferungshaft aber mit zu berücksichtigen.4. Die aus § 306 Abs. 2 Hs. 2 StPO folgende Pflicht zu unverzüglicher Anordnung der Aktenvorlage an das Beschwerdegericht verlangt keine Schnelligkeit um jeden Preis; vielmehr ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ein angemessener Ausgleich zwischen der möglichen Beschleunigung und der gebotenen sorgfältigen inhaltlichen Befassung mit dem Beschwerdevorbringen zu finden.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 21.02.2019; Aktenzeichen (539 KLs) 234 Js 192/18 (51/18)) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Angeklagten vom 14. Februar 2019 gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts vom 21. Dezember 2018 ist gegenstandlos.
2. Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 21. Februar 2019 wird der Haftbefehl des Landgerichts Berlin - Jugendkammer - vom 20. Februar 2019 aufgehoben.
3. Die Kosten des Rechtsmittels zu 2. und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse Berlin zu tragen.
Gründe
I.
1. Die Staatsanwaltschaft Berlin erhob gegen den - nach Erkenntnissen des zuständigen Landkreises Ba. erstmals Anfang September 2017 (unerlaubt) ins Bundesgebiet gelangten, jetzt ausreisepflichtigen - Angeklagten in dem Verfahren 264 Js 638/18 am 23. Februar 2018 Anklage zum Jugendschöffengericht mit den Vorwürfen, der Angeklagte habe im Zeitraum zwischen dem 20. September 2017 und dem 29. Januar 2018 in Berlin in fünf Fällen gewerbsmäßig mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben und in drei Fällen Betäubungsmittel unerlaubt besessen sowie am 2. Dezember 2017 einen Raub in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung begangen. Die Staatsanwaltschaft legte in ihrer Anklageschrift vom 15. Februar 2018, auf die der Senat wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe und Ermittlungsergebnisse verweist, zugrunde, dass sich der Angeklagte ständig im Bereich des G.er Bahnhofs aufhalte, um dort durch den Verkauf von Drogen Geld zu verdienen und auch seinen eigenen Drogenbedarf zu finanzieren.
In jenem Verfahren befand sich der Angeklagte, von dem seinerzeit angenommen wurde, er sei am xx geboren, zunächst seit dem 30. Januar 2018 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom selben Tage - 385 Gs 30/18 jug - in Untersuchungshaft. Ausweislich des Berichts der Jugendgerichtshilfe vom 30. Januar 2018 hatte der Angeklagte von Beginn seines hiesigen Aufenthalts an kein Interesse am Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache; auch zeigte er keine Bereitschaft, sich in der ihm zugewiesenen Wohn- und Bildungseinrichtung Bu. e.V. aufzuhalten, sondern war vielmehr stets in Berlin bei Kumpels oder auf der Straße und wurde auch wiederholt beim Kindernotdienst auffällig.
Nach einer am 14. Februar 2018 durchgeführten mündlichen Haftprüfung wurde der Angeklagte - entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft Berlin - mit Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten von diesem Tage (348 Gs 503/18) vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Der Ermittlungsrichter wies den Angeklagten an,
• sich nach seiner Entlassung unverzüglich in die ihm zugewiesene Bildungseinrichtung Bu. e.V., xx, zu begeben und sich dort regelmäßig aufzuhalten, sodass eine Erreichbarkeit für das hiesige Verfahren gewährleistet sei,
• sich einmal wöchentlich beim (mit Anschrift und telefonischer Erreichbarkeit näher bezeichneten) Polizeirevier E. zu melden, ers...