Leitsatz (amtlich)
1. Ein den Erlass einer einstweiligen Verfügung Beantragender muss - unaufgefordert und unverzüglich - wahrheitsgemäß, vollständig und eindeutig zur Reaktion des Antragsgegners auf die Abmahnung des Antragstellers vortragen. Dies gilt grundsätzlich nicht nur in Bezug auf eine inhaltliche Reaktion, sondern auch im Hinblick auf ein Ersuchen des (späteren) Antragsgegners, eine diesem gesetzte Frist zur Stellungnahme und/oder Abgabe einer Unterlassungserklärung zu verlängern. Denn das angegangene Gericht muss in die Lage versetzt werden, sachgerecht entscheiden zu können, ob und gegebenenfalls wie es den Antragsgegner am Verfahren beteiligt.
2. Verstößt der den Erlass einer einstweiligen Verfügung Beantragende hiergegen, lässt dies den Schluss darauf zu, er habe versucht, durch Vereitelung des Anspruchs des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs eine einstweilige Verfügung zu erschleichen.
3. Rechtsfolge eines derartigen Verhaltens ist regelmäßig die Unzulässigkeit der Geltendmachung des Anspruchs im Eilverfahren, denn dem Antragsteller ist regelmäßig jedenfalls das Rechtschutzbedürfnis für die Verfolgung seiner Ansprüche im Eilverfahren abzusprechen. Unerheblich ist, ob sich das prozessual unredliche Verhalten des Antragstellers im Ergebnis ausgewirkt hat.
4. Muss der Antragsteller infolge seines Verhaltens damit rechnen, dass das angegangene Gericht Anlass sieht, bei ihm und gegebenenfalls auch beim Antragsgegner insoweit nachzufragen, sowie damit, dass sich der Abschluss des Verfahrens deshalb verzögert, gibt er zu erkennen, dass es ihm nicht eilig ist. Er widerlegt dadurch zusätzlich zu der vorgenannten Rechtsfolge eine etwaige Dringlichkeitsvermutung. Ob sich das Verfahren in der Folge tatsächlich verzögert, ist unerheblich.
5. Beruft sich der Antragsteller darauf, der Verstoß gegen die unter 1. genannte Obliegenheit sei versehentlich erfolgt, hat er entsprechende konkrete Umstände substantiiert darzulegen.
Normenkette
BGB § 242; GG Art. 103 Abs. 1; UWG § 12 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 19.08.2021; Aktenzeichen 52 O 253/21) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 19.08.2021- 52 O 253/21 - wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 35.000 EUR.
Gründe
A. Die Antragstellerin hat mit am 30.07.2021 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage beantragt, den Antragsgegnern im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, im Rahmen einer Investoren-Präsentation mit bestimmten Portfoliounternehmen der Antragstellerin sowie mit bestimmten Aussagen u.a. zur Unternehmensgröße und Expertise zu werben.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19.08.2021 den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss, der den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 27.08.2021 zugestellt worden ist, hat die Antragstellerin mit am 10.09.2021 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 13.09.2021 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Kammergericht vorgelegt.
Die Antragstellerin verfolgt mit ihrer sofortigen Beschwerde ihr ursprüngliches Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, der Antrag sei nicht rechtsmissbräuchlich. Die Nichtvorlage des Fristverlängerungsantrages der Antragsgegner und der darauf folgenden Ablehnung der Antragstellerin sei versehentlich erfolgt. Dies sei damit zu erklären, dass aufgrund der hohen Arbeitsbelastung in der Ferienzeit und der bereits fortgeschrittenen Zeit die Aufnahme der beiden Schreiben "schlicht versehentlich vergessen" worden sei. Dies werde anwaltlich versichert. Die Antragsschrift habe erst nach mehrmaligen Rücksprachen mit dem Geschäftsführer der Antragstellerin um 20:46 Uhr eingereicht werden können. Der hiesige Fall sei auch nicht mit dem Fall des OLG München, auf welchen das Landgericht Bezug nehme, vergleichbar. Dort sei nämlich eine umfangreiche Stellungnahme nicht erwähnt worden. Hier handele es sich demgegenüber um ein Fristverlängerungsgesuch, welches mit unwichtigen vorgerichtlich geführten Telefonaten gleichzusetzen sei, die gegenüber dem Gericht nicht unaufgefordert bekannt gemacht werden müssten.
Es fehle an einer Gesamtbewertung aller maßgeblichen Umstände. Die E-Mails vom 24. und 28.07.2021 des Antragsgegners zu 3. an Herrn Dr. ... seien der Rechtsanwältin ... "bis jetzt" (= Schriftsatz vom 08.10.2021) nicht bekannt gewesen. Herr Dr. ... habe innerhalb der Sozietät ein anderes Dezernat betreut und sei in diesem Verfahren ursprünglich nicht beteiligt gewesen.
Soweit das Landgericht Zweifel an der Dringlichkeit geäußert habe, sei auch dies unbegründet. Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe die E-Mail, in der sich die Präsentation befunden habe, am 28.05.2021 erhalten, diese jedoch er...