Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 11.03.2004)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 11. März 2004 aufgehoben.

  • 2.

    Auf den Antrag des. Betroffenen wird die Anordnung des Ministeriums für Volksbildung der ehemaligen DDR, Abteilung Jugendhilfe, Sektor Heimerziehung, vom 27. September 1971, durch die der Betroffene in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau eingewiesen worden ist, für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

    Der Betroffene wird rehabilitiert. Er hat vom 17. September 1971 bis zum 31. Januar 1972 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten.

  • 3.

    Der Betroffene hat einen Anspruch auf Erstattung notwendiger Auslagen für die Einweisung in den Jugendwerkhof Torgau, sofern ihm derartige Auslagen entstanden sind.

  • 4.

    Kosten für das Rehabilitierungsverfahren werden nicht erhoben. Die dem Betroffenen in beiden Rechtszügen erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

 

Gründe

I.

Der Betroffene stammt aus ungünstigen familiären Verhältnissen. Die Ehe seiner Eltern wurde 1958 geschieden. Seiner berufstätigen Mutter fehlte die Zeit, um sich um seine Erziehung ausreichend zu kümmern. Nach den bei den Akten befindlichen Berichten von Jugendhilfeeinrichtungen der ehemaligen DDR machten sich bei ihm bereits frühzeitig Einordnungsprobleme und ein Mangel an Disziplin bemerkbar. Im Jahre 1962 wurde er in ein Kinderheim eingewiesen und von dort 1963 in ein Spezialkinderheim verlegt. Nachdem er 1966 in den Haushalt seiner Mutter entlassen worden war, folgte 1968 seine Einweisung in ein Sonderheimkombinat. Als Grund hierfür wurden sich verfestigende Fehlverhaltensweisen wie Rohheitsdelikte gegenüber Kindern, Wutausbrüche und Sachbeschädigungen genannt. Im Jahre 1970 wurde er in den Jugendwerkhof Hummelshain verlegt.

Mit Schreiben vom 16. September 1971 beantragte der Direktor des Jugendwerkhofs Hummelshain beim Ministerium für Volksbildung, Abteilung Jugendhilfe, Sektor Heimerziehung, der ehemaligen DDR, den Betroffenen in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau einzuweisen. Zur Begründung des Antrags wies er auf massive Disziplinschwierigkeiten hin, die der Betroffene bereits in anderen Heimen bereitet habe und die mit einer Milieuschädigung in früher Kindheit zu erklären seien. Sie hätten sich im Jugendwerkhof Hummelshain fortgesetzt. Der Betroffene beanspruche für sich eine "Prestigestellung.". Um sie zu erringen und zu verteidigen, schrecke er nicht vor dem Einsatz seiner physischen Kräfte zurück. Durch mehrfache, zum Teil brutale Prügeleien sei er besonders in den letzten Wochen vor der Antragstellung zu einer Gefahr für die Kollektiventwicklung und die Sicherheit einiger seiner Kameraden geworden.

Am 17. September 1971 veranlaßte der Direktor des Jugendwerkhofs Hummelshain die Verlegung des Betroffenen in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Mit Schreiben vom 27. September 1971 gab das Ministerium dem Verlegungsantrag statt. Am 31. Januar 1972 wurde der Betroffene in den Jugendwerkhof Hummelshain rückverlegt. Von dort aus erfolgte am 21. April 1972 seine Entlassung zu seiner Mutter.

Der Betroffene hat zunächst beim Landgericht Gottbus beantragt, ihn hinsichtlich der Einweisungen in den Jugendwerkhof Hummelshain und den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau zu rehabilitieren. Das Landgericht Cottbus hat den Antrag durch Beschluß vom 31. Juli 2001 zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das Brandenburgische Oberlandesgericht am 26. Mai 2003 den Beschluß des Landgerichts Cottbus, soweit er die Unterbringung des Betroffenen in dem Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau zum Gegenstand hat, mit der Begründung aufgehoben, das Landgericht Cottbus sei für diese Entscheidung örtlich nicht zuständig. Die weitergehende Beschwerde hat es verworfen. Daraufhin hat das Landgericht Cottbus am 22. Juli 2003 das Verfahren über die Unterbringung des Betroffenen im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau an das Landgericht Berlin verwiesen. Durch den Beschluß vom 11. März 2004 hat das Landgericht Berlin den Rehabilitierungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Die nach § 13 Abs. 1 StrRehaG zulässige Beschwerde des Betroffenen hat Erfolg.

II.

1.

Das Landgericht Berlin war für die angefochtene Entscheidung örtlich zuständig.

Die Rechtsgrundlage für die Einweisung von Jugendlichen in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau bildete die von dem Minister für Volksbildung der ehemaligen DDR getroffene Anordnung über die Spezialheime der Jugendhilfe vom 22. April 1965 (GBl. DDR II 1965, 368), der Gesetzeskraft zukam. Nach § 2 Abs. 3 Satz 4 dieser Anordnung entschied über die Aufnahme in den Werkhof auf Antrag des Spezialheimes, in dem der Jugendliche untergebracht war, der Leiter der Zentralstelle für Spezialheime der Jugendhilfe, die in der Abteilung Jugendhilfe, Sektor Heimerziehung, des Ministeriums für Volksbildung eingerichtet worden war und ihren Sitz in Berlin (Ost) hatte. Für die. Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Rehabilitierungsgerichte tritt diese...

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