Entscheidungsstichwort (Thema)

Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung in sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung nach § 2 Abs. 1 BerHG ist der Unbemittelte einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der bei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme von anwaltlichen Dienstleistungen auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigt und vernünftig abwägt. Ein kostenbewusster Rechtsuchender wird dabei insbesondere prüfen, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte braucht oder selbst dazu in der Lage ist (vgl. BVerfG, NZS 2011, 335, juris Rz. 8)

2. Ob der bemittelte Rechtsuchende von seinem Recht, einen Anwalt für seine Vertretung hinzuzuziehen, vernünftigerweise Gebrauch macht, kann nicht pauschal beurteilt werden, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Insoweit ist eine Abwägung im jeweiligen Einzelfall zu treffen (vgl. BVerfG NJW 2009, 3417, juris Rz. 29).

3. Notwendig ist die Zuziehung in sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen sowie wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerfG NJW 2009, 3417, juris Rz. 30 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 8.10.1987, 9a RVs 10/87, juris; SozR 1300 § 63 Nr. 12; BSG, Beschluss vom 29.9.1999, B 6 KA 30/99 B - juris). Betrifft der Widerspruch etwa lediglich einen - gegebenenfalls wiederholten - Hinweis auf eine einfach gelagerte Frage zum Sachverhalt, kann es auch für einen bemittelten Rechtsuchenden nahe liegen, einen solchen schlichten tatsächlichen Hinweis - gegebenenfalls nach anwaltlicher Beratung - in einem Widerspruchsschreiben selbst zu geben (vgl. BVerfG, NZS 2011, 335, juris Rz. 11).

 

Normenkette

BerHG § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Wedding (Beschluss vom 27.10.2011; Aktenzeichen 70a II 173/11)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des AG Wedding vom 27.10.2011 - 70a II 173/11 - wird zurückgewiesen.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Beschwerde des Antragstellers ist - nachdem sie bei einer Beschwer von 57,12 EUR vom AG zugelassen worden ist - statthaft, §§ 44, 55 Abs. 4, § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG. Sie ist aber nicht begründet, § 2 Abs. 1 BerHG. Im Ergebnis zu Recht hat das AG die Erinnerung des Antragstellers gegen die Zurückweisung seines Antrages auf Festsetzung einer weiteren Vergütung für die anwaltliche Vertretung des Antragstellers im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren vor dem Jobcenter R.(wegen einer Herabsetzung der Regelleistung für Alleinstehende nach dem SGB II) zurückgewiesen.

1. Zu Gunsten des Antragstellers soll vorliegend davon ausgegangen werden, dass ihm dem Grunde nach Beratungshilfe gem. § 2 Abs. 1 BerHG (nachträglich gem. § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG) gewährt worden ist.

Zwar hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des AG Wedding mit Beschluss vom 20.7.2011 in Ziff. 1 ihrer Entscheidung den Antrag auf Beratungshilfe ausdrücklich auf eine "anwaltliche Beratung" beschränkt und den Antrag bereits dem Grunde nach "im Übrigen zurückgewiesen". Erst in Ziff. 2 ihrer vorgenannten Entscheidung hat die Urkundsbeamtin die Höhe der Gebühren und Auslagen festgesetzt und zugleich den weiter gehenden Vergütungsantrag zurückgewiesen. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Urkundsbeamtin bereits dem Grunde nach die Bewilligung von Beratungshilfe beschränken wollte. In dem hier vorliegenden Vergütungsfestsetzungsverfahren und bei der in diesem Verfahren zu treffenden Entscheidung über die Höhe der Vergütung wäre dann grundsätzlich eine Bindungswirkung eingetreten und schon deshalb eine weiter gehende Festsetzung einer Vergütung für die Vertretung des Antragstellers rechtlich nicht möglich gewesen.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Urkundsbeamtin bei ihrer Entscheidung über den Antrag auf Beratungshilfe dem Grunde nach überhaupt eine Beschränkung auf eine bloße Beratung hätte vornehmen dürfen (ablehnend etwa AG Halle, Beschluss vom 29.11.2011, 103 II 2102/11, juris Rz. 3; Schoreit/Groß, BerHG ua, 10. Aufl., § 2 BerHG Rz. 11), ob dies möglicherweise - wie vorliegend - bei einer nachträglichen Antragstellung gem. § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG bejaht werden könnte und ob die diesbezügliche Erinnerungsentscheidung des AG überhaupt einer statthaften Beschwerde zugänglich wäre (ablehnend unter Hinweis auf § 6 Abs. 2 BerHG etwa OLG Celle FamRZ 2011, 495, juris Rz. 5 m.w.N.). Denn vorliegend ist das AG in seiner Erinnerungsentscheidung offensichtlich davon ausgegangen, dem Antragsteller sei dem Grunde nach einschränkungslos Beratungshilfe nach § 2 Abs. 1 BerHG zu bewilligen und bewilligt worden.

2. Im Ergebnis zu Recht hat das AG in seiner Entscheidung zur Höhe der festzusetzenden Vergütung eine Vertretung des Antragstellers im Widerspruchsverfahren nicht für erforderlich i.S.d. § 2 Abs. 1 BerHG angesehen.

a) Die Recht...

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