Leitsatz (amtlich)
Haftentscheidungen während einer laufenden - auch unterbrochenen - Hauptverhandlung sind unter Mitwirkung der an der Hauptverhandlung beteiligten Richter einschließlich der Schöffen zu treffen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 04.02.2016; Aktenzeichen (517) 285 Js 255/13 KLs (34/13)) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 4. Februar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Sachentscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
Gründe
Der Senat nimmt wegen des Verfahrensgegenstands und -gangs auf seine Beschlüsse vom 18. Juni 2015 - 4 Ws 45/15 - und 22. Januar 2016 - 4 Ws 9/16 - Bezug. In der seit dem 23. Mai 2014 andauernden Hauptverhandlung amtiert die Strafkammer in der Besetzung mit Richter am Landgericht M als Vorsitzendem sowie Richterin am Landgericht G und Richter am Landgericht Dr. B als Beisitzern; ferner wirken die Schöffen S und Dr. T mit.
Das Landgericht hat auf die als Antrag auf Haftprüfung zu behandelnde Haftbeschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt D vom 27. Dezember 2015 mit im Dezernatsweg erlassenem Beschluss vom 4. Februar 2016, an dem die Vorsitzende Richterin am Landgericht H sowie die Richter am Landgericht R und Dr. Schmitgewirkt haben, unter pauschaler Bezugnahme auf die Gründe einer Nichtabhilfeentscheidung der Kammer vom 8. Januar 2016 die Fortdauer der Untersuchungshaft mit der Maßgabe angeordnet, dass der Angeklagte des Computerbetruges in 48 Fällen, des Betruges in zehn Fällen, des versuchten Computerbetruges in fünf Fällen sowie des versuchten Betruges in zwei Fällen dringend verdächtig sei. Die Abweichung in der rechtlichen Bewertung der Tatvorwürfe beruhe "auf einer Anpassung an die jetzige Verfahrenslage". Soweit es das Beschwerdevorbringen des weiteren Verteidigers Rechtsanwalt Se in dessen am 18. Januar 2016 per Fax eingereichtem Schriftsatz angeht, hat sich der angefochtene Beschluss die Ausführungen des Richters am Landgericht M in dessen Vermerk vom 25. Januar 2016 zu Eigen gemacht, indem der Inhalt des nicht erkennbar auf einer Kammerberatung beruhenden Vermerks eingerückt worden ist. Weitere Begründungen enthält der angefochtene Beschluss nicht.
Gegen die Entscheidung vom 4. Februar 2016 richtet sich die Beschwerde des Angeklagten. Wegen des Beschwerdevorbringens verweist der Senat auf den Rechtsmittelschriftsatz des Verteidigers Rechtsanwalt D vom 2. März 2016.
1. Der angefochtene Beschluss unterliegt ungeachtet seines Begründungsumfangs schon deshalb der Aufhebung, weil sich die Entscheidung nicht als Erkenntnis des dafür vorgesehenen Spruchkörpers darstellt und der Mangel im Beschwerdeverfahren nicht in dem Sinne ausgeglichen werden kann, dass der Senat rechtlich voll an die Stelle des an sich zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers treten kann.
a) Es entspricht einhelliger Ansicht, dass im Haftbeschwerdeverfahren während laufender Hauptverhandlung die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht vornimmt, nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht unterliegt. Denn allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Dessen vorläufige Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme kann vom Beschwerdegericht nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden, weil es an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, zumal wenn die Hauptverhandlung bereits weit fortgeschritten ist und sich auch auf Beweismittel erstreckt hat, deren Beweisbedeutung aus den Akten nicht ersichtlich ist. Das Beschwerdegericht beschränkt sich auf eine Plausibilitätskontrolle der vom Tatgericht mit Mehrheit getroffenen Würdigung, wobei es sich im Ergebnis auf dessen nachvollziehbare Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Hauptverhandlung verlassen muss (vgl. zum Ganzen nur BGH NJW 2013, 247; NStZ-RR 2013, 16; StV 2004, 143; 1991, 525; Senat, Beschlüsse vom 5. Oktober 2009 - 4 Ws 73/09 -, vom 8. Februar 2011 - 4 Ws 10/11 -, vom 29. Juli 2013 - 4 Ws 92/13 - [OLGSt StPO § 112 Nr. 17], vom 24. September 2014 - 4 Ws 93/14 - und vom 6. November 2014 - 4 Ws 112/14 -, jeweils mwN).
Die Anwendung dieser Grundsätze erfordert, dass jedenfalls in Fällen, in denen sich der Beschwerdeführer - wie hier - auch gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts wendet, das Tatgericht die in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse würdigt und das Ergebnis dieser Bewertung in einer für das Beschwerdegericht nachvollziehbaren Art und Weise darlegt (vgl. OLG Celle StraFo 2015, 113). Dies wiederum setzt voraus, dass die gebotene Haftentscheidung von dem erkennenden Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet und das infolgedessen mit der Sache vertraut ist, in seiner Mehrheit getroffen...