Leitsatz (amtlich)
1. Ein in erster Instanz unterlassener Schutzantrag nach § 712 ZPO kann nicht in der Berufungsinstanz mit der Wirkung nachgeholt werden, dass das Berufungsgericht durch Vorabentscheidung nach § 718 ZPO die Vollstreckbarkeitsentscheidung im angefochtenen Urteil nach Maßgabe des § 712 ZPO abändert.
2. Der Mieter, der in den Räumen ein Wohn- und Pflegeheim betreibt, kann eine Räumungsfirst nach § 721 ZPO nicht beanspruchen. Die Heimbewohner können ihre Interessen selbst wahren, da der Vermieter auch gegen sie einen Räumungstitel erwirken muss (Aufgabe von Senat, Urt. v. 17.12.2012 -8 U 246/11).
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 12 O 61/15) |
Tenor
Der Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des landgerichtlichen Urteils (§ 712 ZPO) wird verworfen.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung der Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zum 31.10.2016 (§§ 721, 732 Abs. 2 ZPO) wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Anträge der Beklagten, die auf eine Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Herausgabeurteil ohne Rücksicht auf eine Erfolgsaussicht der Berufung gerichtet sind, bleiben ohne Erfolg.
1) Der Antrag, die Vollstreckbarkeit des LGurteils nach § 712 ZPO aufzuheben, ist bereits nicht statthaft.
Der Schutzantrag des Schuldner nach § 712 ZPO, der nach § 714 Abs. 1 ZPO "vor Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen (ist), auf die das Urteil ergeht", stellt einen Sachantrag dar, der in der mündlichen Verhandlung gestellt werden muss, auf welche das Urteil ergeht (s. BGH, Beschl. v. 31.07.2013 -XII ZR 114/13, GuT 2013, 217 -juris Tz 7; Beschl. v. 20.03.2012 -V ZR 275/11, NJW 2012, 1292 Tz 7). Der Antrag kann in Bezug auf das in jeder Instanz ergehende Urteil gestellt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 31.07.2013, a.a.O., Tz 5; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 714 Rn 1).
Der Senat folgt der heute wohl als herrschend zu bezeichnenden Ansicht in der Rechtsprechung, dass ein in erster Instanz unterlassener Schutzantrag nicht in der Berufungsinstanz mit der Wirkung nachgeholt werden kann, dass das Berufungsgericht durch Vorabentscheidung nach § 718 ZPO die Vollstreckbarkeitsentscheidung im angefochtenen Urteil nach Maßgabe des § 712 ZPO abändert (s. OLG Naumburg, Teilurt. v. 29.08.2013 -9 U 58/13, juris; OLG Frankfurt MDR 2009, 229; KG MDR 2000, 478; OLGR Frankfurt 1994, 106; Zöller/Herget, a.a.O.; a.A. etwa OLG Stuttgart MDR 1998, 858). Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht bereits der klare Wortlaut des § 714 ZPO, der eine Antragstellung in der jeweiligen Instanz fordert, was zudem logische Konsequenz dessen ist, dass es sich - wie ausgeführt - um einen Sachantrag handelt. Der Ansicht von OLG Stuttgart a.a.O., dass § 714 ZPO nur die Bedeutung habe, eine mündliche Verhandlung über den Antrag anzuordnen, aber keine Vorgabe enthalte, in welcher Instanz diese zu erfolgen habe, so dass auch eine mündliche Verhandlung nach § 718 ZPO durch das Berufungsgericht in Betracht komme, kann danach nicht gefolgt werden. Sie legt den §§ 714, 718 ZPO eine Bedeutung zu, welche ihnen nicht zukommt. § 718 ZPO ermöglicht die vorgezogene Korrektur einer falschen vorinstanzlichen Vollstreckbarkeitsentscheidung (s. BGH, Beschl. v. 31.07.2013, a.a.O., Tz 6; Zöller/Herget, a.a.O., § 718 Rn 1), damit aber keine unbefristete Nachholung eines erstinstanzlich unterlassenen Antrags nach § 712 ZPO. Eine solche unbefristete Nachholung stünde auch in einem Wertungswiderspruch zur Regelung der §§ 716, 714, 321 ZPO, wonach das Übergehen eines erstinstanzlich gestellten Schutzantrags innerhalb von zwei Wochen im Wege der Urteilsergänzung zu rügen ist. Hiermit wäre unvereinbar, dem Schuldner, der einen erstinstanzlichen Antrag schon nicht gestellt hat, eine unbefristete Möglichkeit der Nachholung zu eröffnen (s. zutreffend OLG Naumburg, a.a.O.).
Der danach unzulässige zweitinstanzliche Antrag nach § 712 ZPO, der sich auf die erstinstanzliche Vollstreckbarkeitsentscheidung bezieht, kann analog § 522 Abs. 1 ZPO ohne mündliche Verhandlung nach § 718 Abs. 1 ZPO verworfen werden (s. OLG Frankfurt MDR 2009, 229).
2) Der Antrag auf einstweilige Anordnung einer Räumungsfrist bis zum 31.10.2016, der dahin auszulegen sein dürfte, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Herausgabeurteil des LG in diesem Zeitraum ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen sei (§§ 721 Abs. 4 S. 4, 732 Abs. 2 ZPO), ist zurückzuweisen.
Die Gewährung einer Räumungsfrist kommt aus den im LGurteil in jeder Hinsicht zutreffend dargelegten Gründen nicht in Betracht. Das Urteil betrifft nicht die Räumung von "Wohnraum", da die Parteien ein Gewerbemietverhältnis begründet haben. Bei der gewerblichen Zwischenvermietung kann den Bewohnern als Nutzern von Wohnraum in einem gegen sie gerichteten Urteil eine Räumungsfrist bewilligt werden. Nur wenn sie kein eigenständiges Besitzrecht haben, und somit zur Zwangsräumung ein gegen den Gewerbemieter gerichteter Titel genügt (zum Erfordernis eines Titel gegen eigenständig besitzende Dritte s. BGH NJW 2008, 3287 Tz 9, 15), kommt ...