Leitsatz (amtlich)
Der Fußgänger hat für deinen Unfallschaden grundsätzlich allein einzustehen, wenn seinem groben Eigenverschulden lediglich die - nicht erhöhte - Betriebsgefahr des Kfz gegenübersteht.
Das Sichtfahrgebot (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO) bezieht sich nur auf Hindernisse, die ein Kraftfahrer in der konkreten Situation in Rechnung stellen muss; es gilt nicht für plötzlich von der Seite auf die Fahrbahn gelangende Hindernisse, sondern betrifft die Sicht vor dem Fahrzeug.
Ohne konkreten Anlass muss der Kraftfahrer seine Geschwindigkeit nicht darauf einstellen, dass ein Fußgänger plötzlich von der Seite auf der Fahrbahn treten könnte.
Bei Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Klage (§ 114 ZPO) kann ein im Ermittlungsverfahren erstattetes Unfallrekonstruktionsgutachten verwertet werden.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 06.04.2010; Aktenzeichen 43 O 224/09) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des LG Berlin vom 6.4.2010 - 43 O 224/09 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Antragsteller begehren Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der sie als Erben Schadensersatz aufgrund des Versterbens ihrer Mutter infolge eines Verkehrsunfalls verlangen wollen.
Die Mutter der Antragsteller versuchte am 30.11.2008 gegen 16:35 Uhr in 12681 Berlin stark alkoholisiert zu Fuß die M. Allee auf Höhe der Hausnummer ... zu überqueren. Die Märkische Allee verläuft an der Unfallstelle geradlinig und wird in zwei Richtungsfahrbahnen geführt, die durch einen 4,40.m breiten mit Rasen bewachsenen Mittelstreifen voneinander getrennt sind. Für jede Richtungsfahrbahn sind drei Fahrstreifen markiert. Die Mutter der Antragsteller kam von der ...-Tankstelle und betrat die nach Süd-Osten führende Richtungsfahrbahn. Als sie den dritten Fahrstreifen erreichte, erfasste sie das von dem Antragsgegner zu 1) geführte und bei der Antragsgegnerin zu 2) haftpflichtversicherte Kfz. Durch den Anstoß wurde die Mutter der Antragsteller tödlich verletzt.
Die Antragsteller begehren mit der in Aussicht genommenen Klage Schadensersatz i.H.v. insgesamt 5.176,26 EUR, der sich aus den Bestattungskosten und weiteren Positionen zusammensetzt, sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Das LG hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 6.4.2010 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es sei nach Aktenlage nicht davon auszugehen, dass es den Antragstellern gelingen könne, Ansprüche auf Ausgleich der unfallbedingten Schäden durchzusetzen. Zwar könnten sich die Antragsgegner nicht darauf berufen, dass der Unfall für den Antragsgegner ein unabwendbares Ereignis gewesen oder durch höhere Gewalt verursacht worden sei. Jedoch treffe die Mutter der Antragsteller ein so erhebliches, nach § 254 BGB zu berücksichtigendes Mitverschulden, dass eine Mithaftung der Antragsgegner aus der nicht erhöhten Betriebsgefahr des Kfz des Antragsgegners zu 1) zurücktrete
Die Mutter der Antragsteller habe einen groben Verkehrsverstoß begangen, weil sie bei Dunkelheit und schlechten Beleuchtungsverhältnissen eine insgesamt sechsspurige Hauptverkehrsstraße, auf der eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h gelte, an einer hierfür nicht vorgesehenen Stelle, ohne auf den bevorrechtigten Verkehr zu achten, überquert habe. Die starke Alkoholisierung dürfte sich auch ausgewirkt haben.
Demgegenüber seien Verkehrsverstöße des Antragsgegners zu 1) nicht zu beweisen. Mit dem im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten könne weder eine überhöhe Geschwindigkeit noch eine verspätete oder falsche Reaktion des Antragsgegners zu 1) belegt werden. Es bestünden auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner zu 1) gegen das Sichtfahrgebot verstoßen habe, weil die Mutter der Antragsteller kurz vor dem herannahenden Kfz des Antragsgegners zu 1) aus einem Dunkelfeld in den linken, von dem Antragsgegner zu 1) befahrenen Fahrstreifen getreten sei.
Gegen diesen den Antragstellern am 9.6.2010 zugestellten Beschluss richtet sich ihre Beschwerde, die am 2.7.2010 bei Gericht eingegangen ist und der das LG nicht abgeholfen hat. Die Antragsteller verfolgen ihren ursprünglichen Antrag weiter. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus:
Die Mutter der Antragstellerin habe zumindest nicht allein die Ursache für den Unfall gesetzt. Ihr Mitverschuldensanteil sei nicht so hoch, dass die erhöhte Betriebsgefahr des Antragsgegners dahinter zurücktrete.
Es sei zu berücksichtigen, dass sie nicht plötzlich auf die Fahrbahn getreten sei, sondern sich schon auf dem dritten Fahrstreifen befunden habe, als der Antragsgegner zu 1) ungebremst gegen sie gefahren sei. Bereits daraus ergebe sich ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot gem. § 3 StVO. Das LG habe unberücksichtigt gelassen, dass der Antragsgegner zu 1) dafür beweispflichtig sei, dass diese Sorgfaltspflichtverletzung nicht ursächlich für den Unfall gewesen sei. Es bleibe zu vermuteten, dass sich der Antragsgegner zu 1) nicht voll auf den vo...