Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 12.11.2010; Aktenzeichen 517 Qs 124/10) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors des Amtsgerichts Tiergarten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 12. November 2010 aufgehoben.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung nach Zustellung des Urteils am 25. Juni 2010 zurückgenommen. Eine Auslagenentscheidung zu Gunsten des Angeklagten nach § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO ist nicht ergangen. Den Antrag des Pflichtverteidigers, seine Vergütung für das Rechtsmittelverfahren nach den Nrn. 4124, 4141 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 537,88 EUR festzusetzen, hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts zurückgewiesen. Die Erinnerung des Rechtsanwalts blieb erfolglos. Auf seine Beschwerde hat ihm das Landgericht (in der Besetzung mit drei Richtern) durch Beschluß vom 12. November 2010 die Gebühr nach Nr. 4124 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer zugesprochen, seine Vergütung für das Berufungsverfahren mithin auf insgesamt 280,84 EUR festgesetzt und das Rechtsmittel im übrigen verworfen. Die durch das Landgericht zugelassene weitere Beschwerde des Bezirksrevisors des Amtsgerichts, mit der er sich gegen die Zuerkennung der Verfahrensgebühr wendet, hat Erfolg.
Dem Pflichtverteidiger steht für seine Tätigkeit im Berufungsverfahren keine Vergütung aus der Landeskasse zu.
Richtig ist zwar, daß nach Einlegung des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels durch die beratende Tätigkeit des Verteidigers, die er hier zur Begründung seines Vergütungsanspruchs anführt, die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG entstanden ist. Das besagt jedoch noch nichts über ihre Erstattungsfähigkeit.
Erstattungsfähig ist die Gebühr nur, wenn die erbrachte Tätigkeit notwendig war. Eine Prüfung der Notwendigkeit sieht das Gesetz bei der Vergütung des Pflichtverteidigers zwar ausdrücklich nur für dessen Auslagen und sonstige Aufwendungen vor (§ 46 RVG). Aus dem durch die Bestellung des Rechtsanwalts begründeten öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis ergibt sich aber die ihm im Interesse der Allgemeinheit obliegende Verpflichtung, keine Gebühren durch unnötiges Verteidigungshandeln auszulösen. Zudem darf der - wie hier - gemäß § 55 RVG abrechnende Pflichtverteidiger nach dem Rechtsgedanken des
§ 52 Abs. 1 Satz 2 RVG nicht besser gestellt werden als er stünde, wenn ihn der Angeklagte als Wahlverteidiger beauftragt hätte und die Landeskasse aufgrund einer nach den §§ 467 Abs. 1 oder 473 StPO ergangenen Kostenentscheidung auf Erstattung der gesetzlichen Wahlverteidigergebühren in Anspruch genommen werden würde. Denn in diesem Fall hätte die Landeskasse nach den §§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 ZPO lediglich die durch notwendige Verteidigungshandlungen entstandenen Gebühren eines gewählten Verteidigers zu tragen und der Angeklagte wäre nur in diesem Umfang verpflichtet, den bestellten Rechtsanwalt zu bezahlen (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVG). Die Beschränkung auf eine Vergütung notwendiger Aktivitäten des Verteidigers liegt auch bei einer Verurteilung im Kosteninteresse des Angeklagten, der dann die von der Staatskasse lediglich verauslagten Kosten der Pflichtverteidigung grundsätzlich in voller Höhe tragen muß (§§ 465 Abs. 1 Satz 1, 464a Abs. 1 Satz 1 StPO, 29 Nr. 1 GKG, Nr. 9007 KV GKG der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Ob die Tätigkeit eines Verteidigers im Berufungsrechtszug notwendig und damit die Gebühr Nr. 4124 VV RVG verdient ist, wenn die Staatsanwaltschaft ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung zurücknimmt, ist in der Rechtsprechung umstritten (dafür: LG Dresden, Beschluß vom 23. Mai 2007 - 3 Qs 75/07 - bei juris; LG Heidelberg StV 1997, 607; dagegen: LG Koblenz JurBüro 2009, 198; LG Bochum JurBüro 2007, 38; LG Kleve JurBüro 1987, 78; weitere Nachweise zum Meinungsstand in LR-Hilger, StPO 26. Aufl., Rdn. 34 ff. zu § 464a).
Für die Revision hat das Kammergericht bereits mehrfach entschieden, daß ein anwaltliches Handeln vor Eingang der gegnerischen Begründungsschrift (§ 344 StPO) prozessual nicht notwendig und deshalb nicht nach Nr. 4130 VV RVG zu vergüten ist (vgl. Senat, Beschluß vom 25. Juli 2008 - 1 Ws 263/08 -; KG, Beschlüsse vom 13. Februar 2006 - 3 Ws 559/05 - und 27. August 1998 - 5 Ws 264/98 - zu § 86 Abs. 3 BRAGO).
Gleiches muß nach Auffassung des Senats für die Berufung gelten. Auch hier sind in diesem Verfahrensstadium alle Erörterungen mit dem Mandanten sowie etwaige sonstige Tätigkeiten des Rechtsanwalts überflüssig und für die Wahrung der Interessen des Angeklagten ohne jeden objektiven Wert. Denn Umfang und Zielrichtung des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels sind in der Regel erst aus dessen Begründung zu e...