Leitsatz (amtlich)
An einem auf das Nachbargrundstück hinübergebauten Gebäude kann ohne Zustimmung des Nachbareigentümers Wohnungseigentum begründet werden, wenn nachgewiesen ist, dass der Überbau nach Erstellung des Gebäudes durch Teilung des Grundstücks entstanden ist, und nach Lage und Umfang der maßgebende Teil des Gebäudes so eindeutig auf dem aufzuteilenden Grundstück liegt, dass ausgeschlossen werden kann, dass der Überbau nach der wirtschaftlichen Bedeutung den maßgebenden Teil darstellt.
Normenkette
BGB §§ 93, 94 Abs. 1-2, § 95 Abs. 1, §§ 946, 912; GBO § 29
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 41B BW 1...-190) |
Tenor
Die Zwischenverfügung wird aufgehoben.
Gründe
I. Die eingetragene Eigentümerin begehrt mit Antrag vom 8.6.2015 den grundbuchlichen Vollzug ihrer Teilungserklärung vom 26.5.2015 (UR-Nr. 4.../2...des Notars P.-H.) für das im Beschlusseingang angegebene Grundstück.
Das Grundbuchamt hat mit der angefochtenen Zwischenverfügung beanstandet, dass das aufzuteilende Gebäude mit zwei ebenerdigen Erkersträngen auf dem Nachbargrundstück steht, und die Vorlage einer Zustimmung des betroffenen Grundstückseigentümers zur Teilungserklärung in der Form des § 29 GBO aufgegeben. Die eingetragene Eigentümerin legte daraufhin ein Schreiben des Vermessungsamtes vom 26.3.2015, einen Auszug aus der Flurkarte und die Kopie eines Vermessungsrisses vom 26.3.1930 vor. Aus dem Schreiben des Vermessungsamtes ergibt sich, dass die Bildung des verfahrensgegenständlichen Flurstücks im Jahre 1930 durch Teilung erfolgte, als der vordere Grundstücksteil an die Stadtgemeinde Berlin abgetreten wurde, und dass die Grenzbildung entlang der damals existierenden Baufluchtlinie den Überbau des damals schon existierenden Gebäudes erzeugte.
Mit der Beschwerde vom 15.7.2015 macht die eingetragene Eigentümerin geltend, auch ohne eine Zustimmung des Nachbareigentümers könne hier festgestellt werden, dass die Grenzziehung im Nachhinein erfolgte und dass die Erker dem aufzuteilenden Grundstück als Stammgrundstück zuzuordnen seien.
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, ob der Grenzüberbau durch Verschiebung der Grundstücksgrenze nach Errichtung des Bauwerks erfolgte, könne nicht in der Form des § 29 GBO ermittelt werden. Es komme auf die Eigentumsverhältnisse zum Zeitpunkt der beabsichtigten Teilung des Grundstücks an.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die eingetragene Eigentümerin eine weitere, mit Unterschrift und Stempel versehene Bescheinigung des Vermessungsamts vom 28.7.2015 vorgelegt, mit der außer einer inhaltlichen Wiederholung des Schreibens vom 26.3.2015 weiter bescheinigt wird, dass das Gebäude K.1...A schon bei der Grenzbildung im Jahre 1930 in der Straßenfront nach Umfang und Ausmaß den heutigen Zustand gehabt habe.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 71 ff. GBO) und begründet. Die Zwischenverfügung vom 26.6.2015 ist jedenfalls nach Vorlage der Bescheinigung vom 28.7.2015 nicht mehr gem. § 18 GBO veranlasst.
Die Begründung von Wohnungseigentum setzt voraus, dass Grundstück und Gebäude eigentumsrechtlich eine Einheit bilden (Demharter, Rpfleger 1983, 133). Das ist dem Grundbuchamt gesondert nachzuweisen, wenn wie hier das Gebäude z.T. auf einem anderen als dem aufzuteilenden Grundstück steht. Denn im Falle eines solchen Überbaus kollidieren die Regelungen der §§ 94 Abs. 1, 946 BGB (Akzession) mit denen der §§ 93, 94 Abs. 2 BGB (Gebäudeeinheit).
1. Für die Frage, welcher der kollidierenden Regelungsprinzipien materiell-rechtlich der Vorrang zukommt, ist nach der Rechtsprechung des BGH danach zu unterscheiden, ob es sich um einen entschuldigten Überbau i.S.d. § 912 BGB, einen unentschuldigten Überbau, einen Eigengrenzüberbau oder einen nachträglichen, durch Teilung des Grundstücks nach Bauerrichtung entstehenden Überbau handelt.
Wird ein Überbau aufgrund einer Dienstbarkeit an dem Nachbargrundstück errichtet, so wird er gem. § 95 Abs. 1 S. 2 BGB nicht Bestandteil des überbauten Grundstücks. § 94 Abs. 1 BGB greift insoweit nicht ein und das Eigentum an dem übergebauten Gebäudeteil richtet sich gem. §§ 93, 94 Abs. 2 BGB nach dem Eigentum an dem Restgebäude, das gem. §§ 94 Abs. 1, 946 BGB dem Eigentümer des Stammgrundstücks zusteht, der den Überbau in Ausübung der Dienstbarkeit errichtet hat.
Bei einem entschuldigten Überbau ergibt sich als mittelbare Folge aus § 912 BGB, dass der übergebaute Gebäudeteil nicht der Grundregel des § 94 Abs. 1 BGB unterliegt, sondern bloßer Scheinbestandteil entsprechend § 95 Abs. 1 S. 2 BGB bleibt (BGHZ 110, 298). Das Gebäude steht, sofern es sich um eine natürlich-wirtschaftliche Einheit handelt (BGHZ 102, 311), insgesamt dem Eigentümer des Stammgrundstücks zu, von dem aus übergebaut wurde. Für die Frage, welches der beiden betroffenen Grundstücke das Stammgrundstück ist, kommt es jedoch nicht auf den handwerklichen Bauablauf und die Größe oder Wichtigkeit des übergebauten Gebäudeteils, sondern allein auf die Absichten und wirtschaftlichen ...