Leitsatz (amtlich)
1. Ein die Arbeitsunfähigkeit eines Angeklagten feststellendes ärztliches Attest lässt ohne nähere Begründung, also ohne ausgeschriebene Diagnose, nicht die Schlussfolgerung zu, dass auch ein Fall der Verhandlungsunfähigkeit vorliege.
2. Auch wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Form eines ICD-10-Schlüssels den Hinweis auf eine Erkrankung enthält, bleibt offen, ob der Angeklagte hierdurch tatsächlich in seiner Verhandlungsfähigkeit beeinträchtigt war. Aufgrund der Dürftigkeit eines derartigen Attestes ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Verhandlungsunfähigkeit nicht höher als die für deren Nichtvorliegen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 15.09.2009; Aktenzeichen (569) 34 Ns 3093 PLs 6902/07 (102/08)) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 15. September 2009 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht Berlin hat mit Urteil vom 10. Juni 2009 die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 7. Juli 2008 gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, da der ordnungsgemäß geladene Angeklagte nicht zur Berufungshauptverhandlung erschienen war und sein Ausbleiben nicht entschuldigt gewesen sei. Im Termin am 10. Juni 2009 hatte die Verteidigerin zuvor ausgeführt, dass der Angeklagte ihr telefonisch mitgeteilt habe, er leide an einer Magen-Darm-Infektion und könne deshalb nicht zum Termin erscheinen. Ein Attest lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Mit Schreiben vom 15. Juni 2009, eingegangen bei Gericht am selben Tage, beantragte die Verteidigerin, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, dass der Angeklagte sich am Terminstage wegen einer Magen-Darm-Erkrankung permanent habe übergeben müssen, weshalb er nicht zum Termin habe erscheinen können. Aufgrund seines Zustandes habe er auch die Wohnung nicht verlassen und daher am selben Tage kein Attest beibringen können. Zur Glaubhaftmachung reichte sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 11. Juni 2009 ein, in welcher dem Angeklagten eine Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 09. bis 16. Juni 2009 attestiert wurde. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthielt keine ausgeschriebene Diagnose, war aber mit dem ICD-10-Schlüssel "K 52.9 G" versehen. Mit Schreiben vom 7. Juli 2009 reichte die Verteidigerin ein ärztliches Attest mit Datum vom 18. Juni 2009 ein, welches keinerlei Diagnose enthielt und nur aus dem Satz bestand: "Der o.g. Patient war vom 9.6.-16.6.2009 arbeitsunfähig und konnte daher die Gerichtsverhandlung am 10.6.2009 nicht wahrnehmen." Die Vorsitzende der Strafkammer 69 teilte der das Attest ausstellenden Ärztin darauf schriftlich mit, dass die bloße Bestätigung einer Arbeitsunfähigkeit nicht geeignet sei, das Ausbleiben im Hauptverhandlungstermin zu entschuldigen, und bat um eine Ergänzung des Attestes. Hierauf erfolgte keine Reaktion. Darauf hat das Landgericht mit Beschluss vom 15. September 2009 den Antrag auf Wiedereinsetzung mit der Begründung als unzulässig verworfen, dass der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft gemacht sei, weil sich aus den eingereichten ärztlichen Bescheinigungen keine krankheitsbedingte Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ergebe. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde.
Die nach §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO statthafte und nach § 311 Abs. 2 StPO rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht als unzulässig angesehen. Denn die eingereichten ärztlichen Bescheinigungen reichen nicht aus, um eine krankheitsbedingte Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten glaubhaft zu machen. Das Attest vom 18. Juni 2009 enthält keinerlei Diagnose und beschränkt sich auf die Feststellung, der Angeklagte sei arbeitsunfähig gewesen. Die in dem Attest daraus gezogene Schlussfolgerung, dass demzufolge auch ein Fall der Verhandlungsunfähigkeit vorliege, ist ohne nähere Begründung nicht nachvollziehbar, da eine Vielzahl von Fallkonstellationen denkbar ist, in denen trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit die Verhandlungsfähigkeit nicht beeinträchtigt ist. Insoweit hat das Attest für die zu beantwortende Frage keinerlei Aussagekraft. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 11. Juni 2009 enthält zumindest in Form eines ICD-10-Schlüssels den Hinweis auf eine gastroenterologische Erkrankung unspezifischer Art. Ob der Angeklagte hierdurch aber tatsächlich in der durch die Verteidigerin vorgetragenen Art beeinträchtigt war, bleibt jedoch offen, so dass im Ergebnis eine Verhandlungsunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht ist. Zwar hängt die Wiedereinsetzung nicht davon ab, dass das Gericht die volle Überzeugung von den die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen gewonnen hat. Zumindest muss aber ein hinreichendes Maß an Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit dargetan werden (vgl. BGHSt 21,...